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Thailand

Xhale Yoga Retreat

Ich bin durch. Vorgestern Mittag war es vorbei, mein sechstägiges Yoga-Retreat mitten im Nirgendwo, vor den Toren des absolut alternativen Hippiestädtchens Pai.

Am Montag hatte mich ein Bus drei Stunden lang durch die kurvigen Gebirgsstraßen Thailands manövriert und mich an der zentralen Busstation in Pai ausgespuckt, von wo aus mich ein Taxi 20 Minuten weiter zum Yogacamp fuhr. Das machte von Anfang an einen wunderschönen Eindruck. Mitten im Grünen gelegen, mit viel Liebe zumm Detail dekoiriert, und mein Einzelzimmer hatte ein sauberes Bad und einen Balkon mit Blick auf die wolkenbehangenen Berge, die Pai so wunderschön einrahmen.

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Ich lernte meine Gruppe kennen. Wir waren 15 Mädels, alle zwischen 20 und 30 Jahre alt, bis auf die Mutter aus dem deutsch-australischen Mutter-Tochter-Gespann, und 2 Männer. Einer davon war Aaron, der zweite, der altersmäßig etwas aus dem Raster fiel: Ein australischer Mittfünfziger mit starkem Hang zu Yoga, Esotherik und Selbstdarstellung.. Der andere war Toby, der von seiner weiblichen Reisebegleitung zu diesem Retreat überredet worden war und seit zwei Jahren ziellos herumreiste, finanziert durch seinen Treuhandfonds. Wir stellten uns einander vor, ich vergaß auf der Stelle alle Namen, die mit Sekunden zuvor mitgeteilt worden waren, und wir warteten gespannt auf Bhud, unsere Yogalehrerin. Die erschien dann auch bald. Und war wortwörtlich ne echte Erscheinung.

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Bhud war fünfzig, hatte einen witzig asymmetrischen Haarschnitt, der ihre dunklen Locken in alle Richtungen springen ließ. Arm, Rücken und Ausschnitt waren tätowiert, sie war etwa 1,55m groß und unendlich agil und flexibel. Sie schüttelte jedem von uns die Hand und wir stellten uns ein weiteres Mal vor, und dann ging es los.

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Bhud zeigte uns das Gelände, sprach über ihre Philosophie, das Essen und unseren Tagesablauf im Camp. Den habe ich hier der Einfachheit halber mal für euch abfotografiert:

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Straffes Programm also. Dazu kamen eine Nasenspülung zwischen morgendlichem Tee und Meditation und eine Schweigephase vom Aufstehen bis 12 Uhr Mittags und ein frischer Fruchtsmoothie um 15:00 Uhr. Ich war wahnsinnig gespannt und freute mich auf die kommenden Tage. Meine erste Nacht verlief ruhig, der kleine Gecko, mit dem ich mir unfreiwillig das Zimmer teilte, wartete mit seinem Gesang freundlicher Weise, bis ich aufgestanden war. Und das war am kommenden Morgen um 06:30 Uhr. Urlaub und so.

Ich schmiss mich also in meine Klamotten, tüddelte mit die Haare aus dem Gesicht, putzte meine Zähne und schlurfte dann mehr oder weniger munter zum Camp. Da saßen außer mit noch vereinzelt weitere, nicht wenige mitgenommen aussehende Gestalten, die eie Tasse Tee vor ihren Bauch hielten und stumm gen Unendlich blickten. Ich goss mir eine Tasse heißes Zitronenwasser ein (zur Entschlackung, wie uns am Tage zuvor erklärt worden war) und tat es ihnen gleich.

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Es war still. Ganz, ganz still. Alles, was ich hörte, waren Grillen, Wasser, der Wind in den Bäumen. Und mich.

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Komisch, wie laut die eigenen Gedanken werden, wenn man sich nicht gezwungen sieht, auf sein Umfeld zu achten. Wenn man nicht mit halbem Ohr den Gesprächen am Nachbartisch lauscht oder sich permanent eine Antwort für den aktuellen Gesprächspartner überlegen muss. Ich genoss das sehr, und verließ meinen Kopf erst wieder, als Bhud und zusammentrommelte, um uns zu erklären, wie das eigentlich mit so einer Nasenspülung funktioniert. Sehr interessant anzusehen. Kurze Zeit später säumten 17 kleine Yogaschüler die Straße, unbequem nach vorne gebeugt, während ihnen Meersalzwasser aus der Nase lief. Jeder, der auf seinem Moped vorbeikam, muss gedacht haben, wir spinnen. Immer diese Europäer, ich sag es euch. Ein GANZ seltsames Völkchen.

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Im Anschluss waren unsere Nasen jedenfalls befreit von jedem Bisschen chinesischen Feinstaubes, welches sich hier im hohen Norden Thailands über Nacht in unsere Atemwege hatte schleichen wollen, und das hat ja auch was für sich. Und so begannen wir unseren oben abgebildeten Tagesablauf.

Die Yoga- und Meditationsstunden waren super. Super interessant, super aufschlussreich, super anstrengend, super schön. Es gab Momente, in denen wäre ich einfach gerne in der Schweißlache, die sich unter mir gebiltet hatte, zusammengebrochen um verzweifelt um meine schmerzenden Muskeln und Sehnen zu weinen. Momente, in denen jeder einzelne von uns laut loslachen musste. Momente, in denen ich an nichts anderes denken konnte als daran, meinen Körper irgendwie mit genug Sauerstoff zu versorgen. Und Momente, in denen mich jeder, der mich kennt und mich in jenen Situationen hätte sehen können, gedacht hätte, er hätte mich endgültig an die Hare Krishna Jünger verloren.

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Die Atmosphäre in der Gruppe war die gesamte Zeit lang wundervoll. Wir hatten ja nur begrenzt Zeit, um uns miteinander zu unterhalten, wurden einander also nicht überdrüssig. Wir sprachen über das Reisen, das Leben, unsere Pläne. Hatten all die Konversationen, die ich mir seit Wochen so sehr gewünscht hatte. Sehr heilsam für die Seele, und irgendwie auch für den Körper, bekam ich doch seltsam reine Haut und auffällig wenig Colitis-Symptome während der sechs Tage Aufenthalt. Außerdem träumte ich jede Nacht sehr lebhaft, und erinnerte mich jeden Morgen sehr genau an sechs bis acht verschiedene Filme, die sich Nachts in meinem Kopf abgespielt hatten. Auch das war mir deutlich aufgefallen, weshalb ich es hier erwähnt wissen möchte.

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Während der täglichen, zweistündigen Philosophiestunde mit Bhud ging es um die acht Säulen des Yoga. Dabei wurde mir immer mehr klar, dass ich mich durch all das, worum ich mich im vergangenen Jahr bemüht hatte – Minimalismus, gewaltfreies Essen, nachhaltiger Konsum, Selbstliebe – praktisch im Alleingang bereits auf einen sehr richtigen Weg begeben hatte. Und, dass sich jeder Glaube der Welt im tiefsten Kern überhaupt und gar nicht von seinen Kollegen unterscheidet. Wir glauben alle dasselbe. Jeder Heilige, Weise oder Gesandte hat schon immer das gleiche gelehrt. Weil jeder Mensch eben tief in seinem Inntersten weiß, was gut für ihn ist. Wir haben es nur vergessen, weil wir verlernt haben, uns selbst zuzuhören. So fand ich mich in allen Philosophiestunden nickend wieder, und verließ sie mit frischer Motivation dazu, genau so weiterzumachen wie bisher – nur eben besser.

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Das Essen im Retreat war der absolute Hammer. Gar keine Frage. Alles vegetarisch, fast alles vegan, für mich natürlich immer. Milchprodukte gab es aber keine, nur ab und wann mal Honig oder ein Ei, ich verzichtete auf beides. Alles kam frisch vom Markt und wurde vor unseren Augen zubereitet. Nichts aus Tüten, Dosen oder Flaschen, nur echtes Essen. Obst in rauen Mengen, Bananen frisch vom Baum hinterm Studio, Gemüse, Nüsse, Reis. Frisch gepresste Säfte, drei Mahlzeiten am Tag, ein Smoothie zwischendurch, und Obst wann immer und wie viel man wollte. Mango, Mandarinen (die sind hier außen grün!), Bananen, Äpfel, Lychees. Bhud hielt uns alle dazu an, mal drüber nachzudenken, unserem Körper endlich das zu geben, was er braucht, um sich selbst zu reparieren, statt ihn bei Kopfschmerzen und Übelkeit noch mehr zu vergiften. Sie sprach davon, dass wir uns nicht wundern sollten, wenn uns die Haare ausfallen, wenn wir täglich Chemikalien auf die Wurzeln schmieren, dass die Haut faltig wird, wenn man Substanzen darauf verteilt, die Menschen mit Latexhandschuhen in einem Labor zusammengerührt haben.

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Wie ernst man das nehmen will, ist wohl jedem selbst überlassen. Ich finde das alles grundsätzlich sehr, sehr richtig, sehe aber auch täglich, dass die Umsetzung einer solchen Philosophie in einer Hippiekommune wie Pai auch irgendwie einfacher ist, als wenn man fünf Tage die Woche in einem Büro mit Dresscode verbringt. Da ist man eben doch dankbar, wenn man sich vor einer Präsentation was anderes unter die Arme schmieren kann als Kokosöl und Backpulver. Wir sollten nur eben wieder mehr darüber nachdenken, was wir da eigentlich tun. Wie bei so vielen Dingen. Ihr erkennt vielleicht ein Schema.

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Am Mittwoch hatten wir zwei Stunden Freigang, sprich: Ein Taxi fuhr uns für zwei Stunden nach Pai. Diese zwei Stunden bewiesen mir ein mal mehr, dass meine Willensstärke durchaus noch ausbaufähig ist, konnte ich doch nicht widerstehen einen Sojalatte zu trinken, während ich den letzten Blogpost verfasste. Aber gut, Bhud, Verfächterin der gewaltfreien Essens, schaffte es aufgrund (nach eigener Aussage)  fehlender Willensstärke nicht mal bis zum Vegetarismus oder wenigstens zum Nichtraucher, also fühlte ich mich nicht so richtig schlecht. Eher gut. An jenem Tag war ich zum ersten Mal wieder so richtig wach. Auch irgendwie ein schönes Gefühl.

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Am Ende des Retreats konnte ich zwei Dinge festhalten, die ich gelernt hatte und die zu erkennen die Zeit und das Geld auf jeden Fall wert gewesen war.

1.: Meditation. Ich hatte es schon so lange machen wollten und nie gekonnt. Und jeder, der sich fragt, was daran bitte so schwer sein soll, sei jetzt herzlich dazu eingeladen, sich im Schneidersitz eine Stunde lang regungslos auf den Teppichboden zu setzen und an nichts zu denken. Viel Glück.

Für meine 2. Lektion muss ich etwas weiter ausholen. Einen signifikanten Zwischenfall meiner Reise habe ich euch nämlich bis heute vorenthalten. Kollege ist weg.

Für alle, die damit nichts anzufangen wissen: Kollege ist – war – mein Teddy. Ich habe – hatte – ihn zur Geburt von meinem Opa geschenkt bekommen und seitdem, 21 Jahre lang, je-de Nacht auf ihm geschlafen. Überall, wo ich jemals gewesen war, war Kollege mit von der Partie gewesen. All meine Reisen, all meine Umzüge. Nachts lag Kollege unter meinem Kopf. Bei jeder meiner zahlreichen Operationen war Kollege mit im Saal. Und jeder, der mich lange kennt, kennt mich mit Kollege. Er war platt, er war mitgenommen, hatte einen Aufenthalt im Teddykrankenhaus hinter sich, hatte Löcher, Brandwunden und kahle Stellen. Ich kannte alle, und er gehörte eben zu mir.

Bis er sich entschieden hat, in Hanoi zu bleiben, ohne mich.

Glaubt mir, ich habe alles versucht. Habe mehrmals mit dem Hostel telefoniert, in dem ich ihn vergessen zu haben glaubte, hatte ewig überlegt, wie ich ihn nur wieder finden könnte, aber jeder Versuch den ich unternahm blieb erfolglos. Er war weg. Er ist weg. Kollege ist nicht mehr da. Die Ära ist vorbei.

Manch einer mag es vielleicht affig finden, dass mich mit meinen 21 Jahren der Verlust eines Stofftieres so aufwühlt, aber vielleicht gibt es ja ein paar unter euch, die das nachvollziegen können. Ich hatte jedenfalls resigniert und entschieden, dass das wohl das Zeichen war, dass dieser Trip mich tatsächlich und endgültig mit dem Zustand versöhnen sollte, allein zu sein. Ganz, ganz allein. Und dann sagte Bhud einen Satz, der mich mit der ganzen Situation Frieden schließen ließ.

„Alles, was du verlieren kannst, ist nie dein gewesen.“

Aha. Da hatten wir es also. Kurze Hintergrunderklärung zu jenem Satz: Wir machen uns zu sehr abhängig von Dingen und anderen Personen. Wir sollten uns selbst genug sein. Und je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr erinnnerte ich mich an alte Gedanken, die ich in den letzten Wochen gehabt hatte. Wann immer ich mir mal wieder meine wundervoll leere, spätere Wohnung vorgestellt hatte, waren dabei immer wieder Dinge aufgetaucht, von denen ich mich nicht so recht zu trennen wusste. Bücher, Bilder, Geschenke von Freunden, Erinnerungen und vor allem: Kollege. Jetzt, da er weg war, schien der Abschied von allem anderen im Vergleich wie ein Kinderspiel.

Und so nehme ich das jetzt hin. Kollege ist weg. Punkt. Und wenn er mir abends unter meinem Kopf fehlt, stelle ich mir vor, wie er mit einem Tequila Sunrise in der Hand und Sonnenbrille auf seiner platten Nase am Strand auf einer der zahlreichen Inseln in der Halong-Bucht sitzt.

So. Schwere Kost in diesem Blogpost, ich weiß. Aber vielleicht regt es ja den einen oder anderen zum Nachdenken an, oder ihr schlagt euch einfach alle mit der flachen Hand vor die Stirn, rollt die Augen und schreibt mich als absolut alternativ gewordenen Öko ab – obwohl ich davon weiß Gott noch meilenweit entfernt bin, glaubt mir. Letzten Endes gilt doch bei allem, was man so lernt, und sei es noch so wichtig und gut, die alte Regel: Nehmt euch selbst nicht so ernst. Das ist der Weg zum Glück.

Fragt man Bhud, was sie eigentlich macht, wenn sie mit so einer stressigen Woche des Yogalehrens fertig ist, sagt sie übrigens: „Ich brauche nur einen schwarzen Kaffee und eine Zigarette. Und meine Haare müssten mal wieder gefärbt werden…“

… Amen Schwester.

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2 Antworten auf „Xhale Yoga Retreat“

Oh. Das hõrt sich aber gut an. Ich gehe jetzt mal.nicht davon aus, dass ich die 4 Umzugskartons mit deinen Sachen entsorgen soll, oder? Spass! Mache ich ja nicht. Weiterhin viel Glück und Freude auf deiner Reise.

Oh,Klara,Du bist zu beneiden!-nicht nur um Deine wunderbare Reiseund Deineso anschaulichen Berichte sondern vor allemum den Umgang mit Deinem Leben.Da möchte ich glatt 60 Jahre jünger sein!!! und einen Yogakurs bei Bhud machen,dann hätte ich nicht 2 Häuser voller unentbehrlichen Ballasts.Trotzdem tut es mir leid um Kollege, Mach weiter so!R W

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