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Lasst mich endlich Deutsche sein.

Ich bin 1994 geboren, 5 Jahre nach dem Mauerfall, nachdem mein Vater nach der Wende aus dem Westen nach Mecklenburg-Vorpommern gekommen war und dort meine Mutter kennen gelernt und geheiratet hatte. Ich habe als jüngste dokumentierte Abiturientin meiner Schule mein Abitur mit einem Einserschnitt gemacht – in Sachsen-Anhalt. Nach der Schule bin ich umgezogen. Nach Berlin, dann zum Studium – nach Wernigerode. Und damit hatte ich nie ein Problem. Ich habe mich damit immer sehr wohl gefühlt.

Bis ihr kamt.

Ihr alle, die ihr glaubt, euch immer noch ein Urteil über all die erlauben zu können, welche in der ehemaligen DDR geboren wurden.

Während ich mich als Europäerin verstehe, die Welt bereise, im Ausland studiert habe, im Westen arbeite oder mich, während ich meinen Bachelorabschluss mache, freiwillig für Flüchtlinge engagiere, fragt ihr euch immer noch, weshalb ich so gut Hochdeutsch spreche, warum meine Taschen nicht leer, meine Haare nicht pink und meine Gedanken nicht braun sind.

Für euch bin ich der Ossi, die Dunkeldeutsche. Ihr studiert mit mir, kostenlos, versteht sich – das wäre bei euch in München nicht gegangen. Die Wohnung hättet ihr euch nicht leisten können, von den Studiengebühren ganz zu schweigen. Doch von euch kommt kein „Danke“, sondern nur eine Anspruchserhebung auf all das, was ihr bekommt. „Schließlich wollen wir auch mal was vom Solizuschlag haben!“ Ach so. Welcher Solizuschlag? Den, den ihr nie gezahlt habt, weil ihr bis jetzt noch nie arbeiten wart?

Bittesehr.

Ihr glaubt, ihr habt ein Geburtsrecht darauf, euch besser zu fühlen. Intelligenter, reicher, und im Ganzen erfolgreicher als ich, weil ihr das vermeintliche Glück hattet, drei Autostunden westlich meines Geburtsortes das Licht der Welt zu erblicken.

Was ihr habt, ist mehr wert. Eure Frisur ist besser, euer Haus moderner, euer Auto schneller und das Abitur war schwerer. Euer Dialekt ist ein wichtiges Gruppenmerkmal und macht euch zu ehrenwerten Mitgliedern des Clubs der erfolgreichen Deutschen, „lupfen“ ist für euch normaler Ausdruck, aber „Bulette“ ist der Wort gewordene Teufel. Selbst eure Sprache ist toller. Ich gratuliere.

Wenn ich mich mit euch um dreiviertel vier verabrede, bin ich die Dumme, nicht ihr. Komisch, dabei verstehe ich euch immer, wenn ihr Zeiten ausmacht. Was mache ich denn falsch?

Mache ich was anders als ihr, dann kommt das daher, dass man „das im Osten ja anscheinend so macht“. Könnte stimmen, tut es aber nicht.

Doch das wisst ihr nicht.

Manche Dinge tue ich, weil man das in Finnland so macht. Immerhin habe ich da ein Jahr lang gelebt. Manche Dinge sage ich, weil man das in England so sagt. Denn da war ich in fast jedem der letzten 15 Jahre meines Lebens. Manche Dinge denke ich, weil ich von all den Menschen, die ich auf meinen Reisen kennenlernen durfte, neues zu Denken gelernt habe. Doch es interessiert euch nicht, und ihr fragt auch nicht nach. Für euch bin ich anders, und anders ist schlecht, denn schließlich habt ihr die Dinge schon immer so gemacht, wie ihr sie eben macht, und so ist es gut. Glaubt ihr.

Versteht mich nicht falsch, manche von euch reisen ja. Viele, um genau zu sein. Zur Selbstfindung, wie ihr sagt. Doch ob ich das reisen nennen würde, weiß ich nicht. Schmeckt das Bier im Outback denn anders als im heimischen Garten, wenn es in derselben Gesellschaft getrunken wird?

Sagt ihr es mir.

Aber wahrscheinlich fühlt ihr euch besser dabei. Wie echte Welteroberer, Entdecker, weil die Erde plötzlich rot und nicht mehr schwarz ist und die Tauben ein paar Kakadus gewichen sind, nachdem Mama und Papa ein Flugticket und einen Daunenschlafsack für euch besorgt haben.

Und dann sitzt ihr da, bei deutschem Bier und deutscher Sprache, ihr kleinen Welteroberer, und unterhaltet euch am anderen Ende des Globus über Toleranz  und Gleichberechtigung, über all die netten Menschen, die ihr auf euren Reisen schon treffen durftet, und darüber, wie sehr euch das Kennenlernen neuer Kulturen zu euch selbst geführt hat.

Bis ich sage, woher ich komme.

Dann bin ich plötzlich wieder die Außenseiterin zwischen all den toleranten Abenteurern, dann hat sich in mir endlich wieder ein legitimes, gemeinsames Feindbild gefunden.

Wäre ja auch langweilig, wenn man gezwungen wäre, einfach mal jeden für das zu akzeptieren, was er eben ist. Ein bisschen lästern muss man immer, das stärkt den Gruppenzusammenhalt, und wer bietet sich da mehr an, als jemand, der aus einer Stadt kommt, deren Namen man nicht kennt – aber auch nicht kennen muss, schließlich liegt die ja im Osten…

Ich mag euch, wirklich. Ihr seid nett, und viele von euch sind sogar wirklich gute Freunde von mir geworden. Manchmal tut ihr mir ein bisschen leid, weil ihr euch selbst so einsperrt in euren festgefahrenen Gedanken und Gewohnheiten und dabei das Leben, welches da draußen in der Welt auf euch wartet, verpasst.

Doch das ist ab jetzt euer Problem.

Ich werde aufhören zu versuchen, euch von dem anderen Leben zu erzählen. Von der Welt, die von euch entdeckt werden will. Von den Begegnungen, die euer Weltbild verändern. Von meiner Liebe für das Reisen und die Menschen, unabhängig von ihrer Herkunft, Religion oder ihrem Dialekt. Ich höre auf, euch zu nerven. Gern geschehen.

Und im Gegenzug bitte ich euch um nur eine Sache.

Eine Kleinigkeit, die ihr doch eigentlich hinbekommen müsstet, so vermeintlich weltgewandt und gebildet, wie ihr seid.

Bitte, bitte. Lasst mich endlich Deutsche sein.

Lasst uns alle endlich wieder Deutsche werden.

Ob aus Nord, West, Süd oder Ost.

Wir sind alle nicht perfekt.

Ob nun Semmel, Weckerl, Schrippe oder Brötchen, wir wollen doch alle nur was zum Frühstück haben. Oder zur Vesper.

Ist mir egal.

Denn ich mag euch.

Trotzdem und immer.

Weil wir ja alle Deutsche sind.

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