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Thailand

Hat Yai & Satun Part I

Auf der Fähre wollte ich einfach nur schlafen. Mir war schlecht, ich hatte Kopfschmerzen und brauchte einfach ein bisschen Ruhe – der erste Tag auf Antibiotika ist ja bekanntlich nie besonders witzig. So. Viele Menschen könnten nun meinen, dass auf der Fähre zu schlafen wenn man alleine ist ja kein Problem sein dürfte – ist es aber. Genau aus demselben Grund, aus dem man nie wirklich alleine ist, wenn man sich auf Soloreise befindet. Folgendes.

Ich ließ mich auf einem Sitz am Fenster nieder, explizit danachausgesucht, wie gut ich meinen Kopf an die Wand lehnen und so möglichst schnell ins Land der Träume entschwinden könnte. Als ich gerade dabei war wegzudösen als die Motoren angelassen wurden, tauchte neben mir eine kleine Holländerin auf.

„Hallo! Reist du auch alleine?“

„Jap.“

Ich war wieder wach.

„Cool, dann kann ich mich ja zu dir setzen, oder?“

„Klar.“

Ich stimmte nur widerwillig zu, hoffte aber nach wie vor, ein bisschen Schlaf bekommen zu können. Grinste meine neue Sitznachbarin an, lehnte mich wieder ans Fenster und wollte die Augen schließen – als die Smalltalk-Hölle auf mich einzuprasseln begann.

Das immer. Gleiche. Gespräch. Dieses mal mit einer zutiefst unsicheren Reisenden, die zum ersten Mal zwei Wochen lang alleine von zu Hause weg war und offensichtlich verzweifelt Gesprächspartner suchte.

Woher kommst du, wohin gehst du, was studierst du, wie gefällt dir Thailand, irgendwelche Tipps. Irgendwann konnte ich nicht mehr.

„Ich machte jetzt die Augen zu.“

Mein Gegenüber schaute verdutzt.

„Äh – okay.“

Und damit döste ich wenigstens noch eine viertel Stunde weg, bevor ich auf Koh Phangan die Fähre wechseln musste.

Neue Fähre, neues Glück. Nach einer Stunde Wartezeit auf Koh Phangang wiedeholte sich die Geschichte. Ich ging an Bord, suchte mir einen Fensterplatz mit Möglichkeit zum Kopf anlehnen, verstaute meinen Ruchsack zu meinen Füßen und freute mich schon auf meinen Mittagsschlaf, als sich auch nach dem Ablegen noch niemand auf den leeren Sitz neben mir gesetzt hatte. Ich schloss die Augen.

„Hey, bist du auch alleine unterwegs?“

Oh Himmelherrgott bitte nein. Ich schlug die Augen auf und blickte direkt in das grinsende Gesicht des freundlichen Britischen Alleinreisenden in der Reihe vor mir. Ohne mich aufzurichten oder auch nur meinen Kopf aus seiner gemütlichen Schlafposition zu bewegen bemühte ich mich um eine enigermaßen angemessene Antwort. Ein einfaches

„Hmhm.“

war das Beste, was ich mir in diesem Moment abringen konnte.

„Cool! Dann setz ich mich mal zu dir.“

Ich wollte kotzen, und das nur zu 70% wegen der vom Antibiotikum hervorgerufenen Verdauungsirritationen. Als es sich mein neuer Sitznachbar schließlich neben mir gemütlich gemacht hatte, ging das Grauen von vorne los.

„Und? Wie lange bist du schon auf Reisen?“

Fünfundvierzig Minuten lang hörte ich mir Reisegeschichten von Greg aus Südlondon an. Wie sehr er Lankawi liebte, wie er zum Surfen gekommen war, weshalb ihn sein Tiermedizinstudium bereits nach dem ersten Jahr anödete, was er für ein Naturtalent im Muay Thai sei, wie „krass“ er sich mit Freunden in Bangkok „abgeschossen“ habe. Ich nickte, beantwortete die selten auftretenden Fragen so knapp wie möglich, und in der ersten Gesprächspause von mehr als drei Sekunden witterte ich endlich meine Chance.

„Ich schlafe jetzt.“ stellte ich fest und ließ mich, ohne Gregs Reaktion abzuwarten, zur Seite kippen und meine Augen zufallen. Das brachte mir wenigstens noch 30 Minuten Ruhe ein, bis ich, zurück in Surat Thani, das Festland betrat und mich auf die Suche nach meinem Bus nach Hat Yai machte.

Jene Busfahrt war ein echtes Abenteuer. Ich stieg mit einer Französischen Familie in ein Vehikel, welches mich erstmal wieder zum internationalen Flughafen brachte. Dann wechselte ich in einen kleineren Bus, in dem außer mir nur vier Thais und der Fahrer saßen. Die Frau neben mir weinte bitterlich, telefonierte ab und wann und schniefte in regelmäßigen Abständen in einen Waschlappen. Ich sah sie an, und unsere Blicke trafen sich. Plötzlich wurde ihr Ausdruck bitterernst, das Schniefen riss ab, und ohne, dass wir uns vorher auch nur begrüßt hätten, erklärte Sie, jetzt völlig emotionslos und in gebrochenem Englisch:

„Das am Telefon war das Krankenhaus. Es ist meine Mutter. Sie ist gestorben.“

dann drehte sich die gute Dame wieder zum Fenster und presste dich den durchnässten Waschlappen unter die Nase. Ich meinerseits verzog keine Mine, wandte meinen Blick wieder gen Fahrtrichtung und schickte eine mentale Notiz an mich selbst, dass diese Fahrt wohl noch so einiges für mich bereithalten würde.

Dreißig Minuten später wurde ich auf etwas, das aussah, als wäre es vor vierzig Jahren mal ein zentraler Busbahnhof gewesen, mitsamt all meines Reisegepäcks auf den Beifahrersitz eines Minivans geschoben. Als ich mich umdrehte blickte ich in 16 thailändische Augenpaare, die mich, abwechselnd kurz blinzelnd, mit unverhohlener Neugier anstarrten. Ich nickte und hob meine Hand zur Begrüßung – keine Reaktion, nur unverändetes Starren. Also drehte ich mich wieder zurück, fand irgendwo im Fußraum Platz für meinen Rucksack, schnallte mich als Einzige im Bus an und wartete darauf, dass die Fahrt losging.

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Der Fahrer war ein faltiger Mittfünfziger, auf der Nase eine Brille mit blinden Gläsern und auf dem Kopf eine abgewetzte Uniformmütze, der uns alle uer durch sein Heimatland fuhr und hier und da an einer lokalen Bushaltestelle stoppte, um einige Reisende abzusetzen. Ich hatte übrigens seit meinem Umstieg am Flughafen in Surat Thani keinen einzigen Europäer mehr gesichtet und auch niemanden gefunden, der mehr als zehn Worte Englisch sprach. Dem Fahrer sowie meinen Mitreisenden waren nicht mal diese zehn Worte vergönnt. Kurzum: Sie verstanden kein Wort von dem, was ich sagte, und mir ging es mit ihnen ähnlich.

Ich hatte die Touristenroute also endgültig verlassen. Das war auch kein Wuder, denn wenn ihr alle mal die Sicherheitshinweise zu Thailand vom deutschen Auswärtigen Amt aufrufen wollt, dann werdet ihr sehen, dass von Reisen in die Grenzregionen zu Malaysia DRINGEND abgeraten wird, da es in letzter Zeit zu Anschlägen islamistischer Gruppierungen kam, auch auf von Urlaubern hochfrequentierte Orte – zuletzt in einem Einkaufszentrum und vor einer Polizeistation in – ihr ahnt es – Hat Yai.

Kurz vor der Stadtgrenze von Hat Yai waren nur noch der Fahrer, vier Passagiere und meine wenigkeit im Bus anwesend. Die Stadtgrenze selbst war ein Militärposten bestehend aus einer automatischen Schranke, einer lebensgroßen Plastikpuppe in Polizeiuniform und mit geschultertem Plastik-Maschinengewehr und einem Zelt, in dem vier Soldaten Candy Crush auf ihren Smarphones spielten, während ein Fahrzeug nach dem anderen die Schrankepassierte.

Der Fahrer hatte vor zirka einer dreiviertel Stunde begonnen, alle fünf Minuten wegzunicken, weshalb ich ihn fest im Blick behielt. Jetzt startete er angeregte Konversationen mit den verbliebenden Reisenden, und ich glaubte zu verstehen, dass er einen nach dem anderen fragte, wo er abgesetzt werden wolle. Dann wandte er sich mir zu.

Ich sprach Englisch. Er sprach Thai. Und es gab absolut keine Möglichkeit, ihm irgendwie weis zu machen, dass ich zum zentralen Busbahnhof Stadtmitte gebracht werden wollte. Also zog ich Pam zu Rate.

Fünf Minuten später leuchtete auf meinem Bildschirm die Adresse des Busbahnhofs in Thai-Lettern auf meinem Smartphonedisplay auf – den modernen Medien sei Dank. Dann war alles klar und ich wurde als allerletzte, eine Stunde nach kalkulierter Ankunftszeit, am Busbahnhof in Hat Yai rausgesetzt.

Es folgten surreale Stunden. Offenbar war uns in Deutschland nicht ganz klar geworden, dass Pam tatsächlich zur absoluten Oberschicht in Thailand gehört. Oder besser ihre Eltern, was bei den Familienverhältnissen hier aufs Gleiche rauskommt. Und da ihr Vater von Anfang an darauf BESTANDEN hatte, ALLES für mich zu bezahlen, gab ich in der kommenden woche umgerechnet genau 25 Euro aus. Aber dazu später.

Wir aßen sehr gutes Abendbrot zusammen mit zwei von Pams Freunden, die mich interessiert ansahen, mit denen ich mich aber aufgrund mangelnder Englischkenntnisse ihrerseits nicht so recht Verständigen konnte. Trotzdem wurde viel gelacht, und darauf kommt es im Endeffekt ja nur an. Das Essen gab es in einer riesigen, sehr westlichen Shoppingmall – in einem Steakhouse mit hervorragender Salatbar, an der ich mich All-You-Can-Eat-mäßig bedienen durfte, während sich meine Begleitung am Surf & Turf-Menü labte. Um in die Mall zu kommen, musste eine Passkontrolle passiert werden und der Ausweis unseres Fahrers wurde gescannt – wohl wegen der Anschläge im letzten Jahr. Ich hatte ein leicht mulmiges Gefühl im Bauch, aber einmal am Abendbrotstisch angekommen hatte sich das auch wieder erledigt.

Nach dem Essen wurde ich im Privatzimmer eines 4 Sterne Boutiquehotels in der Innenstadt einquartiert und darum gebeten, am nächsten Morgen um 10 Uhr startklar zu sein. Mit so klaren Anweisungen kann ich ja bekanntlich sehr gut umgehen, und da sich mir immer stärker werdende Kopfschmerzen, begleitet von verdächtiger Übelkeit aufdrängten, durschte ich (ohne mein rechtes Bein nass werden zu lassen – ne echte Aufgabe), schmiss die nächtliche Dosis Antibiotikum, gefolgt von einer Präventiv-Ibuprofen und ließ mich in die schneeweißen Laken meines Doppelbettes sinken.

Am nächsten Morgen war ich noch immer völlig appetitlos, knabberte aber ein Toast mit seltsam leuchtfarbener Marmelade (das einzig vegane am Frühstücksbuffet) und trank einen schwarzen Tee, bevor mich Pam, Pams Mutter und der Fahrer (ja, richtig, ein Fahrer) aufsammelten und mit mir ins Krankenhaus fuhren.

Darum hatte ich gebeten, weil ich auf Koh Tao keine klaren Instruktionen dazu bekommen hatte, wie ich weiter mit meiner Wunde verfahren sollte, und ich dachte, mal ein vernünftiger Arzt mit sauberer Kleidung und eine weitere, professionelle Reinigung könnten ja nicht schaden. Außerdem hatte ich Pam als Übersetzerin im Schlepptau, was das Ganze etwas einfacher gestalten sollte.

Im Krankenhaus angekommen (sehr modern, sehr freundlich, sehr sauber) konnte ich mich keinen Meter bewegen, ohne von allen Anwsesenden angestarrt zu werden wie ein bunter Hund. Ich war noch immer die einzige mit weißer Haut weit und breit. Tatsächlich hatte ich, seit ich am Vortag den Bus am Flughafen betreten hatte, keine einzige Person meines Kulturkreises mehr gesehen, und auch niemanden gefunden, der so gut Englisch sprach, dass es für eine Konversation gereicht hätte. Das war jetzt also das echte Thailand, durch die Brille einer wohlhabenden, thailändischen Familie. Ich war gespannt.

Der Arzt war nett, Pam übersetzte fleißig, und am Ende war ich versorgt mit allen nötigen Informationen und genug Verbandszeug, um mich in den nächsten Tagen selbst versorgen zu können. Leichte Infektion, weiter sauber halten, immer abkleben, fleißig Antibiotika nehmen, nicht ins Wasser. Das war ja das eigentliche Drama. Ich war auf dem Weg in ein absolutes Inselparadies – und durfte nicht ins Wasser. Aber gut, die Wahl hieß – dramatisch ausgedrückt – nicht Schwimmen oder Bein ab, und da gefiel mir erstere Variante dann doch deutlich besser.

Die Rechnung betrug umgerechnet 80€, und obwohl ich mir alle Mühe gab, zu erklären, dass ich dieses Geld von der Versicherung zurückgezahlt bekommen würde, ließ sich Pams Mutter nicht davon abbringen auch diese Rechnung für mich zu begleichen. Ich bedankte mich – auf Thai, wie es sich gehört – und wir stiegen wieder ins Auto. Nächster Halt: Satun.

In Satun wohnen Pams Eltern und es ist der Ort, wo die Fähren nach Koh Lipe und einige andere Inseln an- und ablegen. Zwei der Hotels auf Koh Lipe gehören Pams Vater, und in eines davon war ich freuntlicher Weise eingeladen. Doch die erste Nacht sollte noch in Satun verbracht werden.

Auf dem Weg dorthin wurde zwei Mal am Straßenrand gehalten, um verrückte Mengen frischen Bioobstes für mich einzukaufen. Bananen, Orangen, etwas, was aussieht wie Lychee, Äpfel und – mein absoluter Favorit – die Mangosteen-Frucht. Keine Ahnung, ob ich die in Deutschland jemals bekommen werde, aber hier hat sie sich sehr schnell zu meiner Liebslingsfrucht hochgearbeitet. Na ja. Neben der Passionsfrucht vielleicht.

Mit vier Kilo Obst bewaffnet ging es erstmal zum Mittag. Dort trafen wir Pams Vater, und nach dem Essen wurde eine geeignete Unterkunft für mich gesucht. Und das meine ich sehr wörtlich.

Erst das familieneigene Ferienhaus – kein Intenet, konnte man mir nicht zumuten. Dann das erste Resort, eigenes Bungalow mit Fensterfront zum Meer – da hatte es beim letzten Schauer unter der Tür durchgeregnet, der Fliesenboden war also leicht feucht – konnte man mir ebenfalls nicht zumuten. Das nächste Hotel – wieder, eigenes Bungalow mit Fensterfront zum Meer – war dann schließlich gut genug, ich durfte bleiben, und wurde wieder instruiert, um 6:00 Uhr zum Abendessen bereit zu stehen. Alles klar.

Ich machte erstmal Mittagsschlaf.

Um 6 Uhr fuhr Mild (hier „Mai“ gesprochen, da sowohl das L als auch das D für Thais quasi unmöglich auszusprechen sind), eine Freundin von Pam, mit Pam im Schlepptau auf einem Motorroller vor. Helme gab es nicht, ich wurde in ihre Mitte genommen und so brausten wir durch das nächtliche Satun. Pam zeigte mir, wo ihre Großeltern wohnten, wo wir morgen ablegen würden und wie ich im 7-eleven meine SIM-Karte aufladen konnte. Bei der Gelegenheit wurde ich gleich mit Sojamilch, Mandeln und Erdnüssen versorgt (das Veganer-Standardpaket im 7-eleven) und dann ging es weiter zum AbendesseRestund Abendessen fand in einem Seafoodrestaurant statt, doch dank Pams Thaikenntnissen wurden mir drei verschiedene Speisen ohne Tier serviert.

Drei.

Denkt daran, dass ich von den Antibiotika noch immer leicht benommen und vor allem völlig appetitlos war. Ich aß so viel ich konnte von Papayasalat, Gemüsepfanne und Mango mit Klebereis, doch irgendwann bekam ich nichts mehr runter. Vielleicht auch, weil mich acht thailändische Augenpaare anstarrten (Pam, Pams Eltern, eine Cousine (4), ein Cousin (3), Pams Freundin Mild, der Fahrer, der Restaurantbesitzer) und niemand außer Pam mein Lächeln erwiederte. Außerdem guckte jeder weg, mit dem ich Augenkontakt herzustellen versuchte – ein sehr seltsames Gefühl. Man wird beobachtet, und wenn man zurückguxkt und lächelt, wird mit unverändert ausdrucksloser Mine der Blick abgewendet. Ich fühlte mich etwas seltsam, war aber auch ganz dankbar, dem Smalltalk entgehen und mich so darauf konzentrieren zu können, dass mein Essen unten blieb.

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Als ich an jenem Abend in mein Bett fiel, fühlte ich mich etwas seltsam. Das hatte drei Gründe:

1. Die Antibiotika. Teufelszeug.

2. Ich war einen ganzen Tag lang ausgehalten worden und übernachtete die zweite Nacht auf Kosten meiner Gastgeber in einem wunderschönen Hotel – das war ich einfach nicht gewohnt. Und

3. Hatte ich keine Ahnung, was in den folgenden Tagen passieren würde. Ich wusste, dass es einen Plan gab, von dem mir nichts mitgeteilt wurde, weil das hier einfach nicht als notwendig erachtet wird.

Und so schlief ich irgendwann ein, darauf vertrauend, dass mich auch am kommenden Tag wieder ein großes, schwarzes Auto mit Fahrer abholen und an einen schönen Ort bringen würde.

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