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Kuala Lumpur Part III

Am nächsten Morgen durfte ich ausschlafen. Elaine verschwand von 10 bis 12 Uhr in ihrem Büro, also nutzte ich die Zeit um mich fertig zu machen, mir nochmal die Haare zu waschen und mir endlich, das erste Mal seit beinahe drei Monaten, in einer echten Küche echten Porridge zu kochen, mit Zimt und Hafermilch und Rosinen und Bananen und allem drum und dran. Herrlich.Und Kaffee mit Hafermilch gab es auch. Ich war gut drauf.

Von Elaines Rückkehr bis morgens um 1 wurde es durchgehend hektischer, aber ich genoss den Aufruhr, das Adrenalin, die Action. Alles begann damit, dass Elaine sich aus irgendeinem Grund verspätete und wir außerdem früher als gedacht am Veranstaltungsort zu sein hatten, weshalb ich hektisch auf Elaines Bett meinen neu erstandenen Cardigan (mehr schlecht als recht) bügelte, dann alles, was ich brauchte, um mich später fertig zu machen, in eine große Tasche warf und mit Elaine fluchtartig das Gebäude verließ. Rein ins Auto, hin zum Kino. Ein Kino in einem riesigen, modernen – na? Wer errät es? Richtig. Einkaufszentrum. Wo auch sonst.

Wir fingen an, mit aufzubauen. Es mussten Schilder abgeklebt und Stühle von A nach B getragen werden, und zu guter letzt war es unsere aufgabe, den Umriss eines Körpers mir Papierklebeband auf dem Boden abzukleben und diesen Tatort dann in bester Kripo-Manier (ich hatte Gott sei Dank in meinem Leben genug Folgen „CSI – New York“ gesehen) mit Absperrband einzurahmen. Elaine und ich waren dieser Aufgabe sehr gewissenhaft nachgegangen, und als wir uns schließlich erhoben und uns Kreisereste aus unseren T-Shirts klopften, blieb uns beim Blick auf die Uhr beinahe das Herz stehen. 15:30 Uhr. Uns blieben 30 Minuten, um Mittag aufzutun (Abendessen war für uns nicht vorgesehen) UND uns umzuziehen, die Haare zu machen und zu schminken – auf dem Damenklo. Na herbstlichen Glühstrumpf. Das Rennen begann.

Wir hasteten vier Stockwerke tiefer und ließen uns jeder in Rekordgeschwindigkeit einen riesigen grünen Smoothie zubereiten, den wir die nächste halbe Stunde mit uns herumtragen und so quasi nebenbei Mittag essen können würden (Applaus für diese Satzkonstellation bitte, danke). Dann aufs Dach vom Einkaufszentrum, die Kleider aus dem Auto holen. Dann zurück ins Kino. Es war 15:50 Uhr.

„Ist es schlimm, wenn wir 10 Minuten zu spät kommen?“ fragte ich.

„Kommen wir denn 10 Minuten zu spät?“

„Na ja, uns bleiben 10 Minuten für Haare, Makeup und Kleider.“

„Scheiße.“

Das nächste, woran ich mich erinnere, ist eine bizarre Szene, in der ich vor einer Toilette stehe, in einer Hand einen halbvollen Smoothiebecher, in der anderen meinen BH, und Elaine hinter mir angestrengt die Worte: „Nicht! Atmen!“ wiederholt, während sie versucht, dem Reißverschluss meines Kleides Herr zu werden, und ich versuche, nicht an Sauerstoffmangel zu verenden und vornüber in die Kloschüssel zu kippen.

„Zieh den Bauch ein.“

„Ich ZIEHE den Bauch ein!“

„Mehr.“

„Geht nicht.“

„Kannst du mit den Händen deine Rippen ein bisschen zusammendrücken?“

„Äh… vielleicht?“

„Machs einfach.“

„Okay.“

Meine Fresse Freunde. Ich habe selten so stramm in einem Kleid gestanden wie an jenem Abend. Wäre ich aufgrund zu flacher Atmung ohnmächtig geworden, ich hätte keinen Bewegungsspielraum gehabt, um umzufallen. Vermutlich wäre einfach mein Kopf nach hinten gekippt und ich hätte dort gestanden wie eine Narkopeptikerin im Korsett. Dieses Schicksal blieb mit Gott sei Dank erspart.

Elaine machte meine Haare, ich kümmerte mich um Elaines Makeup, und um 16:10 Uhr standen wir beide halbwegs ansehnlich beim Briefing – oder was als Briefing bezeichnet wurde.

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Bitte behaltet im Hinterkopf, dass ich noch immer keine Ahnung hatte, was eigentlich gerade passierte oder wo ich war oder wer ich zu sein hatte, als ich folgende Anweisung für den Abend bekam:

„Du zeigst den Leuten, wohin sie gehen müssen. Wenn die Königin kommt, verbeugen. Alles klar?“

Ja klar. Alles klar. Den „Leuten“ zeigen, „wohin sie gehen“ müssen. Locker.

WELCHE LEUTE BITTE DIE WOHIN GENAU GEHEN UND WORAN UM ALLES IN DER WELT SOLL ICH BITTE DIE VERDAMMTE KÖNIGIN ERKENNEN??!! Dachte ich. Doch da war meine Vorgesetzte für den Abend auch schon wieder hektisch hinter der nächsten Ecke verschwunden. Also gut. Den Leuten zeigen, wohin sie gehen sollen, und verbeugen wenn die Königin kommt. Wie schwer konnte das schon sein.

„Hier, die Lusftballons müssen überall verteilt werden. Die Bänder müssen den Boden berühren. Alles klar? Macht ihr das?“

eine hektische und offensichtlich schwer gestresste kleine Frau stand vor uns allen, die wir ein Schild mit der Aufschrift „Usher“ (Platzanweiser) um den Hals hängen hatten, und drückte uns riesige Bündel heliumgefüllter Ballons in die Hand, zusätzlich zu einer Packung Goldschnur.

„Wenn die Schnüre noch nicht lang genug sind, um den Boden zu berühren, tackert die hier dran fest und macht sie länger. Alles klar? Einfach überall verteilen.

Du! Du da! Du bist Projektleitung! Ballons verteilen! Jetzt!“

Und dann stand ich da. Mit gefühlt füfhundert (tatsächlich eher so 50) Heliumballons in der Hand und 10 Augenpaaren, die gespannt darauf warteten, dass ich sie mit Arbeitsanweisungen versorgte. Ich. Projektleitung. Klar doch. Ich wusste icht mal, wo ich war, aber hey! Internationale Kommunikation hab ich ja nicht umsonst studiert.

„Your time to shine.“ dachte ich, und legte los.

Bald wuselte die ganze Mannschaft durchs Kino und verteilte fleißig Ballons. Die einen verteilten, andere hielten Bänder so an, dass sie den Boden berührten, wieder andere gingen herum und tackerten das Ganze an Ort und Stelle fest. Zwei Minuten vor Toresschluss waren wir fertig. Bemerkte natürlich niemand. Trotzdem ein sehr befriedigendes Gefühl.

Dann rückten die Gäste an. Einer nach dem anderen schritt den roten Teppich entlang, und meine ehrenvolle Aufgabe bestand darin, in meinen unbequemen Hackenschuhen am Teppichrand zu stehen und mit der rechten Hand freundlich aber bestimmt auf die Fotowand zu deuten, vor der sich jeder der Gäste ablichten lassen sollte. Es ist ja beeindruckend, wie wenig Beachtung einem die Leute schenken, wenn man ein „Usher“-Schild um den Hals und die Einweiserinnen-Uniform trägt. Da wird man nicht mal angeguckt, und mit ganz viel Glück gibt es einen ekelig verächtlichen Blick von der Seite. Ich weiß schon, warum ich überall auch immer jede Putzfrau grüße. Ein unangenehmes Gefühl sonder Gleichen war das.

Nach einer Stunde stand ich nicht mehr in, sondern neben meinen Schuhen. Dass der Saum meines Kleides den Boden berührte, erlaubte mir, dies unbemerkt zu tun, und so versteckte ich meine Schuhe zwischen meinen Füßen, während ich meine geschundenen Fußsohlen selbst auf den schwarzen Marmorfliesen des Kinovorraumes kühlte.

Als ich einmal aufs Klo verschwand, erbarmten sich einige der Gäste meiner und machten ein wenig Konversation. Zwei nette Herren aus Schweden, so wie ein freundlicher, älterer Herr in augenscheinlich teurem Anzug fragten mich, was ich denn hier eigentlich tat und wie ich auf dieser Veranstaltung gelandet sei. Wir lachten, machten ein paar Witze, ich verschwand kurz im Bad und nahm dann wieder meine Position ein.

Wenige Minuten später sah ich, wie sich meine beiden Schweden mit dem Meister höchtpersönlich unterhielten. Ein Privileg, das nicht vielen vergönnt war. Elaine zum Beispiel, einer der größten Fans, die dem Meister beinahe täglich auf der Arbeit über den Weg lief, war laut eigener Aussage zu ehrfürchtig, um ihn mal anzusprechen. Er war eine einzigartige Respektsperson, mit der man sich offenbar nicht einfach so unterhielt. Ich stand der ganzen Sache ja sowieso etwas skeptisch gegenüber, mir war diese Vergötterung eines Menschen doch etwas suspekt, erst recht, wenn dieser von seinen „Schülern“ horrende monatliche Zahlungen verlangte, neben all der Arbeit, die man als Erleuchteter so hat, noch mal eben einen Film produzierte und dann zur Premiere mit einem goldenen Jaguar vorfuhr. Ich hatte diese Gedanken gerade zu Ende geführt, da winkte mich einer der Schweden heran.

Momentchen mal.

Ich? Einweiserin, keine Schülerin und ganz sicher nicht mal nah dran an der Erleuchtung sollte mal eben mit dem Meister schnacken kommen? Drücken konnte ich mich jedenfalls nicht mehr, der Meister guckte mir voller Erwartung direkt in die Augen, während Richie (der Schwede) immer hektischer mit dem Armen wedelte, um mich auf ihn aufmerksam zu machen. Also gut. Schuhe unterm Kleid wieder anziehen und los, an den Fotografen vorbei,, hin zu der kleinen Dreiertruppe am anderen Ende des Saales.

„Hallo.“ sagte ich und reichte dem Meister meine Hand.

„Vielen, vielen Dank.“ sagte der Meister und nahm meine Hand in beide seiner Hände.

„Äh – gerne, aber – wofür?“

„Dafür, dass du uns heute abend hier aushilfst. Richie hat eben davon erzählt. Ich weiß das sehr zu schätzen. Danke.“

Und zwei Minuten Smalltalk später stand ich wieder an meinem Platz am Teppichrand und versuchte, via Blickkontakt mit Elaine darüber zu kommunizieren, was mir da gerade widerfahren war. Elaine grinste über beide Ohren, ich auch, weil ich nicht nicht so recht auf die vergangenen zehn Minuten klarzukommen schien. Zusammenfassend sei aber mal festzuhalten: Netter Typ, dieser Meister. Den Protz find ich trotzdem seltsam. Und ein Portrait von ihm wird euch weder in meinerm Portemonnaie, noch an meiner Wand oder sonst irgendwo in meinem Leben unterkommen.

Als alle Gäste da waren, schritt die Sultana irgendwas irgendwas ein, amtierende Königin Malaysias. Wie die so aussah, weiß ich leider nicht, mein Kopf war gebeugt und meine Stirn fest gegen die Daumen meiner aufeinander liegenden Handflächen gepresst, als sie an mir vorbeilief. Wie es sich gehörte. Dann hatten wir Einweiserinnen erstmal 20 Minuten Ruhe, während sich die Gäste allerhand Eröffnungsreden anhören mussten. Ich trank einen großen Schluck Wasser, besorgte mir einen Sitzplan und positionierte mich auf meinem nächsten Posten: Vor Kinosaal 2, der Saal für die VVIP.

Dort hatte ich dann die ehrenvolle Aufgabe, jedem Gast eine Goodiebag und einen Donut in die Hand zu drücken, und bei Unklarheiten bezüglich des Sitzplatzes Auskunft zu geben. Ich tat also, wie mir geheißen und versorgte jeden, der an mir vorbei wollte mit Tüte, Donutpäckchen und benötigten Informationen. Ein Mann im Anzug lehnte den Donut dankend ab.

„Danke, aber ich komme von Dunkin Donuts, ich sehe das Zeug jeden Tag. Haben Sie schon zu abend gegessen?“

Ich antwortete ehrlicher Weise mit nein. Hatte ich nicht.

„Dann essen Sie den Donut bitte. Wie gesagt, ich kann die Dinger nicht mehr sehen, und Sie haben doch sicher Hunger.“

Ich bedankte mich vielmals, er bat um ein Foto und verschwand im Kinosaal. Das war mein Treffen mit dem Geschäftsführer von Dunkin Donuts Malaysia. Und am nächsten Mogen fand Elaine folgendes auf der Facebookseite von Dunkin Donuts:

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Ich wurde schon besser auf Fotos getroffen, aber was soll’s. Ich habe den Donut übrigens nicht gegessen. Ist ja klar. Nicht sehr vegan. Habe ihn stattdessen einem der anderen Platzanweiser vermacht, der sich wiederum sehr darüber freute und den Donut mit drei Bissen verputzte. So funktioniert das mit der Freundlichkeit. Da hat ein Donut gleich drei Leute glücklich gemacht. Sehr effizient.

Als der Film schließlich lief und alle Gäste auf den ihnen zugedachten Plätzen saßen, verstaute ich die übrig gebliebenen Goodiebags und Donuts an einem sicheren Ort und setzte mich dann in die Empfagshalle zu den anderen Einweiserinnen, Organisatoren und Elaine. Wir durften die Reste des Abendessens verspeisen und uns auch am kostenlosen Kaffee bedienen, also schnappte ich mir drei der Frühlingsrollen mit Kartoffeln (vegan, hab gefragt) und einen schwarzen Kaffee. Am Kaffeestand wieder der ältere, freundliche Herr im teuren Anzug, der mich fragte, was ich eigentlich studierte, wie ich hier gelandet war und so weiter und so fort. Ich erzählte enthusiastisch wie immer von meiner Reise und verabschiedete mich dann zu Elaine. Der ältere Herr nickte und wandte sich, mit einem Holzstäbchen in seinem Kaffee rührend, ab.

Ich setzte mich zu Elaine.

„Weißt du eigentlich, mit wem du dich da heute so unterhältst?“ fragte Elaine, wieder dieses breite Grinsen im Gesicht.

„Nö. Also, mit dem Meister, klar, aber der Rest…? Sind doch alles Schüler, oder?“

„Jap. Aber der Schwede? Der lange mit der Brille und den grauen Haaren? Einer der größten Shareholder von Spotify International. Und der Typ gerade am Kaffeestand? Vorstandsmitglied bei General Electrics.“

Ich verschluckte beinahe meine Plasikgabel.

„Äh – ich… was?!“

„Hab extra nichts gesagt, damit du dich auch mit denen unterhältst. Sind ja normale Menschen. Sag einfach nett tschüss, bevor wir nachher gehen.“

„Der Schwede hat mir beim Foto machen versehentlich an den Hintern gefasst.“

„Haha ja, so sind sie, die Schweden.“

Und so trank ich meinen Kaffee, selig und drei Zentimeter über dem schwarzen Marmorboden schwebend. Dieser Abend. Dieses Leben. Und diese dreißig Euro für Überwurf und Schuhe waren mal mehr als gut investiert gewesen.

Als der Film zu Ende war marschierten die meisten Gäste schnurstraks ab. Wir räumten auf, und als es für mich auch nach mehrmaligem Nachfragen tatsächlich nichts mehr zu tun gab, Elaine aber noch gut bechäftigt von einem Ende des Saales ins andere flitzte, ließ ich mich an einem Tisch nieder und unterhielt mich nett mit all den anderen Menschen, die da noch so saßen. Ein freischaffender Grafikdesigner, eine Unternehmerin, BWL-Studenten im dritten Semester. Alles vertreten. Nette Gespräche, nette Menschen. Alle lachten, waren unheimlich freundlich zueinander und zu mir, hatten intelligente Gesprächsthemen und gesunde Weltansichten. Waren interessiert, aufmerksam, zurückhaltend, aber nie langweilig. Toll. Ein-fach toll. Ihr seht, ich bin noch immer ein bisschen hin und weg. Verständlicher Weise – hoffe ich.

Um 01:10 Uhr war Elaine dann auch bereit zur Abfahrt. Ich schlief auf dem Weg nach Hause im Auto ein, und tat, in Elaines Wohnung angekommen, nichts anderes mehr als zu duschen und dann ins Bett zu fallen.

„Danke nochmal.“ sagte ich.

„Selber danke.“ sagte Elaine.

„Gute Nacht.“ sagte ich.

„Gute Nacht.“ sagte Elaine.

Und dann war dieser verrückte, abenteuerliche, angsteinflößende, wundervolle, atemberaubende Tag vorbei.

2 Antworten auf „Kuala Lumpur Part III“

Ich liege mit dem Vater vor dem Kensington Palace auf der Wiese. Einen Americano mit Soja-Milch vor der Nase, den englischen Sommer genießend bei 27 Grad und wir sind mal wieder mächtig stolz und haben sehr gelacht.

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