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Bali: Canggu

Ja, ich wollte vor meiner Heimreise nochmal an den Strand. Also hatte ich eine Woche in Canggu organsiert, aus Budgetgründen leicht widerillig ein Bett in einem Viermannzimmer in einem Hostel gebucht (da lässt es sich nicht so schön heiter aus dem Bett springen und um 7 Uhr Morgens zu Simon & Garfunkel tanzen, ihr versteht) und ein Taxi nach Canggu besorgt. Anders kommt man da nämlich nicht hin.

30 km und 1,5 h später kam ich an, im Surfers House Hostel in Canggu. Das kleine Örtchen Canggu ist ganz sicher keiner der populärsten Urlaubsorte auf Bali, zieht aber von Jahr zu Jahr mehr Surfer an, da sich der Wellengang hier offenbar sehr gut für diesen Sport eignet, habe ich mir sagen lassen. Außerdem ist die kulinarische Vierlfalt hier sehr beachtlich, sind doch westliche, sehr hippe Restaurants in den vergangenen Monaten wie Pilze aus dem Boden geschossen. An veganen und roh-veganen Optionen mangelt es keineswegs, und ausnahmslos jeder Coffeeshop hat mindestens Sojamlich im Angebot. Himmel!

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Ich für meinen Teil hatte mal wieder keine großen Pläne für Canggu, bis auf das Übliche: Yoga, Essen, Spaziergänge. Während die ersten beiden Aktivitäten kein Problem darstellten, war letzteres – das Spazierengehen – eine echte Herausforderung. Canggu ist nämlich vieles, aber ganz sicher nicht zum spazieren gehen gemacht. Jeder – ich wiederhole – JEDER hier nimmt den Motorroller, wenn es nur irgend geht. Auch dann, wenn das angepeilte Ziel lediglich 200 Meter vom Ausgangspunkt entfernt liegt. Ergo gibt es weder Bürgersteige noch Erbarmen für all jene verlorenen Seelen, die verwirrt zu Fuß am Straßenrand in der Innenstadt herummirrten.

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In Anbetracht der Tatsache, dass mein Yogastudio 1,5 km und zwei Hauptverkehrsstraßen von meinem Hostelbett entfernt war, lieh ich also noch am Abend meiner Ankunft (nach einigen einschüchternden Begegnungen mit motorisierten Verkehrsteilnehmern) einen Motorroller. 50.000 Rupiah kostet der am Tag, das entspricht irgendwas zwischen 3 und 4 Euro – das lag durchaus im Budget.

Und so schwang ich mich bald wieder, mit einem nicht zu verleugnenden Gefühl der Freiheit, auf meinen kleinen Motorroller und brauste, nun als vollwertiges Mitglied der Straßengemeinschaft anerkannt, durch die Straßen des kleinen Surferortes, bis hin zu meinem auserwählten Yogastudio.

Nach meiner Rückkehr ins Hostel lernte ich Fay kennen. Fay lag im Hochbett gegenüber, kam aus Taiwan, machte Yoga im selben Yogastudio wie ich und war ganau so interessiert an gutem Essen und desinteressiert an Partys in großen Gruppen und Surfstunden wie ich – ganz im Gegensatz zum Rest der Hostelbesatzung.

So gab es in den folgenden Tagen wenige Momente, in denen man mich alleine auf meinem Roller erwischte. Zumeist hatte ich Fay dabei, auf dem Weg zum Reformhaus, zum Biomarkt, zur Yogastunde, zum veganen Café. Ab und wann trauten wir uns auch zu Fuß auf die Straße, weil wir beide Individuen mit überdurchschnittlich hohem Bewegungsdrang waren, aber immer nur zu zweit. Und wenn wir mal nicht miteinander reden wollten, war das auch okay. Dann sagte einer: „Hey, sorry, ich würd gern einfach ein bisschen alleine sein.“ und der andere antwortete mit: „Alles klar! Kommt mir sehr gelegen, ich auch.“ und wir konnten die folgende Stunde im selben Raum nebeneinander auf unseren Betten liegen und nicht miteinander sprechen, sondern einfach unser eigenes Ding machen. Das war so angenehm, dass ich es kaum zu beschreiben weiß.

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Dieser konstante Konsens ließ uns allerdings schnell die „Social Outcasts“ des Hostels werden. Ich weiß gar nicht, wie man diesen Begriff aus dem Englischen am Besten übersetzt. „Soziale Außenseiter“ klingt so harsch auf Deutsch. Aber gut, das waren wir nunmal irgendwann.

Versteht mich nicht falsch, ich hatte echt ein su-per Hostel abbekommen. Ganz, ganz freundliche, offene Menschen, wenige Betten, sehr sauber, eine klasse Atmosphäre. Nur leider waren im „Surfers House – Hostel & Surf School“ vor allem eben solche Menschen anwesend, die entweder Surfen unterrichteten oder Surfen lernen wollten. So zog die ganze Mannschaft am Morgen von Dannen, mit ihren Surfboards, glänzenden Sonnebrillen und perfekten, von der Sonne blondierten Locken und war schnell eine untrennbare Clique, die sich abends nach einem langen Tag des Surfens erst auf die Suche nach dem perfekten Beefburger und dann nach der perfekten Party begab. Da gab es Affären und Tage, die aufgrund starken Hangovers erst um ein Uhr nachmittags beginnen konnten, wilde Stories von vergagenen Nächten und süßen, französischen Touristen auf der Tanzfläche.

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Fay beteiligte sich relativ regelmäßig zumindest an den Partynächten, mit durchgängig beachtlichem Erflog. So schlief sie die ersten drei Nächte, in denen ich in Canggu war, nicht einmal in ihrem eigenen Bettchen, sondern wurde immer morgens gegen acht Uhr von irgendwem vor der Hosteltüre abgesetzt, mit tiefen Augenringen und in der Montur vom Vortag. Tagsüber war sie dann aber wieder mein Kaliber Mensch und begleitete mich auf meinen Streifzügen durch Bauernmärkte und Yogaunterricht.

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Und dann gab es da noch mich. Ich wachte morgens um halb acht auf, rührte meine Bio-Heferflocken mit meinem Bio-Zimt und den unbehandelten Bio-Rosinen zusammen, kippte eine Hand voll hausgemachten Müslis vom Bioladen um die Ecke drauf, schnitt eine Banane hinein und übergoss das Ganze mit ebenfalls hausgemachter Mandelmilich aus der Bio-Bäckerei von nebenan (frisch am Vortag hergestellt, aus nichts als Wasser und Mandeln – das lob ich mir!). Dann schnappte ich mir meine Wasserflasche und mein Frühstück, setzte mich im Schneidersitz in die Sonne, die um diese Uhrzeit noch in erträglichem Maße in den Hostelgarten fiel, und hörte mein Hörbuch, während ich mein Essen genoss. Und der Rest meines Tages drehte sich quasi immer um frisches Obst und Gemüse, meine täglichen 90 Minuten Yoga, einen abendlichen Lauf oder einen ausgedehnten Spaziergang am Strand mit pitoresken, kontemplativen Pausen auf den Felsen im Wasser.

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Hm. Muss ich wohl nicht erwähnen, dass man sich damit in einer Gruppe wilder Surfer aus aller Welt relativ schnell ins Abseits schießt.

Also – es waren alle immer nett, keine Frage! Nur waren irgendwie unsere präferierten Freizeitbeschäftigungen nicht so recht kompatibel.

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Zwei Mal war ich übrigens um des lieben Friedens willen mit im Club. Ich blieb bei Wasser, ließ mir das aber immer, mir meiner Außenwirkung durchaus bewusst, in einen klaren Plastikbecher mit Eis, zwei Limettenscheiben und einem schwarzen Cocktailstrohhalm kippen. Ich muss ja nicht auch auch auf der Tanzfläche schreien: „HALLO ICH BIN EIN SPIESSER!“, reicht ja, wenn ich einfach einer bin.

Jene zwei Abende waren übrigens durchaus sehr witzig. Ich tanzte viel, das hatte ich seit – ja, tatsächlich, seit Esthers und meinem Stopp in Hoi An, Vietnam, nicht mehr getan. Wir waren alle innerhalb einer halben Stunde absolut nassgeschwitzt, und damit meine ich nass, nicht feucht oder leicht schwitzig, nein, nass. Auch die Haare. Alles klitsche, klatsche Nass. Die Tanzflächen waren zwar alle draußen, aber es wird gerade Sommer hier auf Bali, was bedeutet, dass die Temperaturen auch nachts nicht unter 27 Grad fallen. Und wenn man dann wild zappelnd inmitten zweihundert anderer wild zappelnder steht, dauert es eben nicht lang, bis der Körper mit den Worten: „Ach, scheiß drauf. Mach einfach alle Schleusen auf und hoff, dass sie nicht umkippt.“ resigniert und das Kontrollpanel des hauseigenen Kühlsystems sich selbst überlässt.

Ich verabschiedete mich immer ziemlich genau um Mitternacht. Das war die Zeit, in der der Alkoholpegel der mich umgebenden Partygäste einen Wert erreicht hatte, der sich nüchtern nur noch sehr schwer ertragen ließ. UND die Zeit, nach der traditionell (das habe ich in den vergangenen Jahren mithilfe vieler Selbstversuche herausgefunden) nichts gutes mehr passiert. War dieser Punkt erreicht, schwang ich mich, nüchtern wie ich war, auf meinen kleinen Motorroller und brauste durch die leeren, nächtlichen Straßen Canggus. Der Fahrtwind kühlte mich, während er meine nasse Kleidung trocknete, ich fuhr Slalom um streunende Hunde, Schlaglöcher und wehende Plastiktüten. Toll. Sie haben eben was, leere Straßen bei Nacht. Ich bin einfach manchmal gerne allein. Falls ihr das bis zu diesem Punkt noch nicht mitbekommen habt.

Wenn ich dann im Hostel ankam, wartete ein leeres Zimmer auf mich. Alles war still, das ganze Haus war leer, war doch die gesamte Mannschaft noch auf der Tanzfläche unterwegs, die ich gerade verlassen hatte. In meinen Ohren summte es noch von der lauten Elektromusik, als ich mich duschte, und schließlich zu einer sehr angenehmen Zeit – 00:30 Uhr – ins Bettchen fiel.

Gerade rechtzeitig, um am nächsten Morgen um 07:30 Uhr aufzustehen und Müsli zu machen.

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Der Hostelhund. Der wohl kleinste Nachfahre des Wolfes der Welt.

…wäre ein schönes Ende für den Blogpost gewesen. Aber ich muss NOCHwas loswerden. So ist das, wenn man plötzlich und ungewollt eine ganze Woche seiner Reise in einen einzigen Blogpost tippt. Manchmal hören meine Finger einfach nicht rechtzeitig auf, tut mir leid.

Den Nachmittag eines Tages verbrachte ich mit Fay und Izzy (aus Luxemburg) bei Lea, einer Tätowiererin aus Frankreich. Fay bekam zwei wunderschöne Tattoos, ganz nach meinem Geschmack, auch wenn ich mich selbst doch sehr weit von derartiger Körper…kunst (?) entfernt sehe. Nichts desto trotz erkennt ja auch das Auge des Untätowierten den unterschied zwischen einem ästhetischen Tattoo von einem tatsächlich talentierten Künstler und einem Arschgeweih, zu welchem man sich morgens um drei nach einer durchzechten Partynacht entschieden hat und welches einem von dem Bekannten eines Bekannten Namens „Iwan“ zum Freundschaftspreis verpasst wurde. Jene Tattoos waren jedenfalls schön, und Lea, die sich vor einem halben Jahr von ihrem Leben in Paris verabschiedet und nach Canggu abgesetzt hatte, war eine richtig coole Sau. Sie schwärmte vom entspannten Leben auf Bali, von der Freundlichkeit der Menschen, den günstigen Preisen, der tollen Gemeinschaft von Auswanderern. Im Grunde also davon, wie viel Besser hier alles war. Weniger Stress, weniger Organistation, alles weniger streng. Und da wurde mir was klar.

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Das ist einfach nichts für mich. Nein. Ich wäre absolut verloren in einem Land, in dem jedem egal ist, ob ich heute oder morgen komme. In dem niemand etwas plant, oder schlimmer noch, in dem alles geplat wird und sich niemand dran hält. Einem Land voller Menschen, die aufgehört haben, Buchhalter, Wirtschaftsberater, Lehrer, Maschinenbauingenieure oder Finanzanalysten zu sein, um Surf-, Tauch- oder Yogalehrer, Barkeeper oder Hostelbesitzer zu werden. Nein, nein und nochmals nein.

Ich vermisste meinen mattschwarzen Moleskine-Kalender mit den sauberen Zeilen für jeden Tag der Woche, in den ich mit meinen wundervoll dünnen und simplen schwarzen Muji-Finelinern meine Termine eintragen kann, um mich anschließend dran zu halten. Die Seite für Notizen daneben, auf die ich meine To-Do-Listen schreibe. Meine dünnen, schwarzen Aktenordner mit den Registerkarten, die meinen Papierkram in übersichtliche Kategorien teilen. Meine schwarze Riesenhandtasche, die immer genug Platz für meinen Laptop, mein Notizbuch, meinen Kalender und eine Glasflasche mit Wasser hat und an deren Boden sich ständig ein Mix aus Kaugummipapier, Kassenbons und diversen Visitenkarten sammelt. Das Weckerklingeln um sechs Uhr morgens und einen Grund, dann auch tatsächlich aufzustehen.

Ich vermisste einen Alltag, und vor allem eine Aufgabe. An jenem Tag in Leas Wohnzimmer fing es an, und es ist noch heute da, das Gefühl. Meine Uni schickt beinahe täglich Mails mit Informationen zum Studiengang, zu den ersten Tagen. Ich weiß, dass ich bald umziehen werde. Ich weiß, dass ich bald anfangen werde, zu arbeiten. Und alles, was ich tun will, ist alles wichtige auszudrucken und in einen meiner Aktenordner zu heften, die Termine in meinen mattschwarzen Kalender einzutragen und an einem richtigen Schreibtisch an einem richtigen Computer zu sitzen, während ich all das erledige.

Ich genieße die letzten Wochen auf Bali. Ich weiß, dass ich mich schnell genug hierher zurücksehenen werde – ab und wann. Aber ich weiß auch, dass das, was ich in Deutschland so tue, das richtige für mich ist. Dass ich keinen Grund habe, mir jemals zu wünschen, ich würde ein Leben auf einer tropischen Insel ohne Verpflichtungen führen. Ein, zwei Monate im Jahr? Klar, gerne! Für immer? Lieber nicht.

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Ich komme doch lieber wieder nach Hause. Wann genau, müsste ich allerdings nochmal in meinem Kalender nachlesen. Welcher Wochentag ist heute noch gleich…?

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3 Antworten auf „Bali: Canggu“

Liebe Klara,
Es war wie immer toll deine Reise mitzuerleben und man kann förmlich erlesen wie du dich seit unserem letzten Treffen verändert hast. Ist doch toll wenn man sich selber gefunden hat und weiß man will. Hab noch eine schöne Zeit meine Liebe und vielleicht kreuzen sich unsere Wege ja bald wieder mal.
Liebe Grüße
Babsi

Ja, das bist Du-klar-authentisch-Strube !Danke ,daß ch immer wieder teilnehmen konnte an Deinen Erlebnissen und Gedanken.Genieße auch die letzten Tage in der fernen Welt und dann komm wieder zu uns,wir freuen uns auf Dich.Es grüßt Dich herzlich Rosemarie Wendenburg

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