Kategorien
Thoughts

Lasst mich essen, was ich will.

In einem meiner Artikel aus der Vergangenheit, „Lasst mich endlich Deutsche sein“, habe ich darüber geschrieben, wie sehr es mich nervt, dass ich, Kind aus dem Jahr 1994, noch immer mit Vorurteilen zu kämpfen habe, die sogar meine eigene Generation mir gegenüber hat, weil ich in der ehemaligen DDR, „Ostdeutschland“, groß geworden bin. Jetzt scheint es an der Zeit für eine Fortsetzung. Und ich sage euch auch, warum.

Ich esse vegan. Ohne wenn und aber. Punkt. Das ist so, und das jetzt schon seit beinahe eineinhalb Jahren. Es geht mir so gut wie nie zuvor. Anstatt irgendwelche Packungen aufzureißen, wie es vorher der Fall war, koche ich mit heller Freude immer wildere Kreationen. Esse Obst und Gemüse in rauen Mengen, habe meine Liebe für Tempeh und Seidentofu entdeckt. Ich recherchiere Nährwerte und habe Spaß dran, halte Salat für eine großartige Mahlzeit, mache Sourcream aus Cashewnüssen, und könnte vermutlich wochenlang von Spinat, Broccoli und Kartoffeln leben, weil mir das alles so gut schmeckt.

Ich esse keine Tiere und auch nichts, was von Tieren kommt. Kein Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte, Milch, Milchprodukte wie Joghurt, Sahne, Butter, Käse o.Ä., keine Eier, Gelatine. Und nichts, worin diese Sachen vorkommen. Ich bin so gesund wie noch nie.

Wer mich kennt, der weiß, dass ich den Großteil meiner Teeniejahre krank verbracht habe. Zu Hause unter Cortison, für Untersuchungen in diversen Krankenhäusern, wöchentlich zur Blutabnahme, täglich Medikamente. Manchmal relativ fit, manchmal schwach und depressiv mit einer konstanten Eisenmangelanämie. Und wisst ihr, was ich jetzt bin? Gesund.

Ich bin gesund.

Ist das nicht großartig? Ist das nicht ganz GROSSARTIG freunde? Gesund! Genesen von einer chronischen Krankheit! Und außerdem beinahe komplett frei von Kopfschmerzen und Abgeschlagenheit, quasi nie erkältet UND ich habe es gerade vier Monate lang durch Südostasien geschafft ohne auch nur ein EINZIGES MAL eine Magen-Darm-Verstimmung zu haben. Und das alles hab ich mit viel Geduld und durch eigene Arbeit übers Essen hinbekommen. Ist das nicht toll? Applaus bitte! Applaus!

Freunde?

…wo bleibt mein Applaus?

Wiebitte?

Ja, ja ich weiß, dass ihr Fleisch esst. Ist okay! Ich wollte doch nur sagen, das ich, also ICH keines mehr esse, und dass es mir damit sehr gut…

Was?

Ja, find ich super dass ihr euer Fleisch aus Biohaltung bekommt. Und tut mir Leid, dass ihr das mit dem veganen nicht könntet (wobei ich das natürlich auch immer gesagt habe, bevor ich dann vegan wurde). Hm? Ihr habts probiert und euch fehlt Käse? Na, da würde ich doch sagen, esst einfach weiter Käse! Ihr könnt doch machen, was ihr wollt! Alles, was ich sagen wollte, ist doch, dass ICH bitte jetzt keinen Cheeseburger bestellen möchte…

Nein, stört mich nicht, wenn ihr den vor mir esst.

Nein, ich vermisse ihn nicht. Auch nicht ein bisschen. Auch nicht, wenn ihr ihn mir unter die Nase haltet und damit wedelt. Das finde ich eher leicht aufdringlich.

Ja, meine Pommes schmecken. Und auch mein Salat.

Können wir jetzt bitte einfach weiter essen? Ich hab doch gar nichts gesagt. Gut, danke.

Was sagst du? Alle so fanatisch? Ich doch nicht! Iss doch deinen Burger, bitte! Und auch den Milchshake! Es ist mir ziemlich schnuppe, was du so isst, solange es dir schnuppe ist, was ich esse. Und ich hab diese Diskussion sicher nicht begonnen…

…uuund du machst trotzdem weiter. Wir haben nicht schon immer so viel Fleisch gegessen wie jetzt. Es gibt keine wichtigen Nährstoffe, die nicht in Pflanzen vorkommen, nein. Was glaubst du denn, wie solche dann in die Kuh, das Huhn oder das Schwein kämen, hm? Vom Himmel gesandt oder was?

Was? Nein, ich habe keinen Proteinmangel. Und ich laufe auch keine Gefahr, den jemals zu bekommen. Zeig mir mal die Station im Krankenhaus für all die armen Seelen mit Proteinmangel. Aber die Stationen für Herzpatienten scheinen doch recht voll genau so wie die Onkologien, und wenn man dann bedenkt, wie viel Cholesterin und nachweislich krebserregendes, tierisches Eiweiß in Fleisch – nun ja, lassen wir das. Alles, was ich sagen will, ist, dass schon in einem Sauerteigbrot mit  Erdnussbutter und Marmelade mehr Eiweiß steckt als in deinem McDonaldˋs Hamburger. Also bin ich nicht unterversorgt. Und jetzt guten Appetit, um Himmels Willen.

ICH WEISS DASS DU NIE AUF FLEISCH VERZICHTEN KÖNNTEST JETZT SEI DOCH BITTE STILL UND ISS ODER SPRICH ÜBERS WETTER UND LASS MICH IN FRIEDEN MEINE POMMES ESSEN!

__________________________________________________________________________

Ihr Lieben, ihr könnt euch nicht vorstellen, wie oft ich jene Diskussion in den vergangenen Monaten bereits geführt habe. Und ich bin der ganzen Sache so, so überdrüssig.

Wann um alles in der Welt ist mein Teller denn zum Zentrum des Universums geworden? Und seit wann beratet ihr Menschen zu Ihrer Ernährung? Neue Karriere oder was? Irgendwie scheint über veganen Mahlzeiten ein Schild zu schweben auf dem steht: „Die Nährstoffzusammensetzung dieser Portion ist jetzt zur allgemeinen, offenen Diskussion freigegeben.“ Das passiert übrigens paradoxer Weise nur dann, wenn sich der Esser hinter dem Teller für Obst, Gemüse, Reis und Bohnen entschieden hat. Chicken Nuggets, eine ganze Tafel Schokolade und eine Tüte Chips hingegen werden von allen umsitzenden, selbst ernannten Ernährungsexperten gemeinhin als unproblematisch angesehen.

Versteht mich nicht falsch, ich erkläre euch gerne genau, weshalb ich esse, wie ich esse, und weshalb ich das für mich für die schlauere Variante halte. Aber auch nur, wenn ihr tatsächlich daran interessiert seid, mehr darüber zu lernen. Nicht, wenn ihr für jedes meiner Argumente ohne mich ausreden zu lassen ein schlecht recherchiertes, populärwissenschftliches Gegenargument aus dem Ärmel schüttelt, ohne euch vorher auch nur ein einziges mal ehrlich und ernsthaft mit dem Thema Ernährung auseinandergesetzt zu haben (und damit meine ich nicht die Rezepttipps aus dem „Womenˋs Health“-Magazin).

Selten kommt es zu einer ernsthaften und interessierten Konversation. Häufig kommt es zu einem ekeligen Schlagabtausch, in dem ich mittlerweile quasi automatisch in die Defensive gehe, was objektiv betrachtet völlig unnötig, für den Frieden am Essenstisch aber unabdinglich ist. Und dabei möchte ich nochmal betonen, dass es nie, und da übertreibe ich nicht, wirklich NIE ich bin, die die Diskussion über den Veganismus eröffnet. Ich bin immer nur die, die Pommes und nen Salat und ihren Kaffee mit Sojamilch bestellt. Das ist dann oft Grund genug für meine Begleiter, aus dem Nichts Sätze wie: „Also, ich könnte nie auf Käse verzichten!“ oder „Bei aller Liebe, vegetarisch vielleicht, aber vegan? Das ist dann doch zu extrem!“ in den Raum zu werfen. Und das sind oft auch wieder Menschen, die ich für allgemein intelligente Gesellschaft halte, und die sich selbst ganz sicher auch zu den tolerantesten fünf Prozent der Bevölkerung zählen würden. Meine Frage:

Warum?

Was um alles in der Welt gibt euch denn das Gefühl, so unbedingt eure Essensgewohnheiten rechtfertigen zu müssen, und das nicht mal vor eurem Arzt oder eurem Ehepartner, sondern vor MIR? Und das auch noch so aggressiv?

Manchmal bin ich dann plötzlich „bescheuert“, „nervig“, „militant“ oder „total verrückt geworden“, mir wird angedroht, mich nicht mehr einzuladen oder nie wieder mit mir essen zu gehen. Schade!

Dabei versuche ich wirklich, es jedem Gastgeber so leicht wie möglich zu machen, nicht selten habe ich mein eigenes Essen dabei, was mich nicht stört. Ganz im Gegenteil! Davon profitiert doch jeder. Ich weiß, was in meiner Mahlzeit drin ist und kann beim Zubereiten einem meiner liebsten Hobbies, dem Kochen, nachgehen, und mein Gastgeber muss sich keine Sorgen um mich machen und kann einfach seinen gewohnten Kochgewohnheiten fröhnen. Wo ist denn da das Problem?

Richtig. Es gibt keins.

Und wenn es für euch doch noch eines gibt, seid ihr vermutlich Menschen, mit denen ich auch gar nicht so gerne zusammen Essen wollen würde. Beim Essen seine Ruhe zu haben ist nämlich ab und wann auch echt richtig schön.

Wenn man beim Reisen eines lernt, dann ist es wohl Toleranz. Das akzeptieren und tolerieren des andersartigen. Des neuen. Das Hinnehmen der Lebensumstände anderer, ohne sich ein vorschnelles Urteil zu erlauben. Ohne immer gleich davon auszugehen, dass die eigenen Gepflogenheiten die besseren sind. Zu verstehen, das „besser“ und „schlechter“ Wertungen sind, von denen niemand profitiert, und dass das Wort, durch das wir diese Attribute ersetzen sollten, „anders“ ist.

Vietnamesische Gesetze sind anders als deutsche. Die Toiletten in Asien sind anders als in Europa. Die Sicherheitsbestimmungen in Thailand sind anders als bei uns. Partnerschaften funktionieren in Indonesien anders as wir es gewohnt sind. Doch jeder halbwegs tolerante Mensch weiß, dass das alles nicht zwangsläufig was damit zu tun hat, ob die eine Nation „besser“ ist als die andere. In Vietnam ist alles günstiger, sich nicht auf eine Toilette setzen zu müssen ist hygienischer, auch ohne Führerschein oder Personalausweis einen Motorroller mieten zu können ist schlichtweg einfacher, Partnerschaften in Indonesien halten länger. Man kann das also alles betrachten, wie man will.

Als etwas besseres, etwas schlechteres, oder: Etwas anderes.

Ich esse eben anders als ihr.

Und alles, was ich will, ist, dass ihr das toleriert.

Das kann doch nicht so schwer sein.

4 Antworten auf „Lasst mich essen, was ich will.“

Ganz grosse Klasse. Ich gehe auch automatisch in die Defensive und antworte dann meist: „Aber ich tue euch doch nichts. Warum greift ihr mich dann an?“ Alltägliches Problem der veganen Ernährung. Man stelle sich das Gegenteil vor, ein vegan essender Mensch würde mit einem Fleisch essenden ständig seine Essgewohnheiten diskutieren wollen…. Das gäbe sofort Krieg. Aber seis drum. Gut auf den Punkt gebracht, weitermachen und das gute Gefühl für sich selbst geniessen. Das ist es doch, was jeder tun sollte, das gute Gefühl in sich selbst geniessen und dabei niemandem schaden. Wie auch immer man das erreichen möchte. Ich danke dir für dieses Statement. Bis bald.

Hallo Klara. Das glaube ich, dass es voll nervig ist, dass du dich bei „Fleischessern“ über deine Essgewohnheiten rechtfertigen und dich dafür auch noch belegen lassen musst. Eigentlich müsste es ja umgekehrt sein ;-). Aber intolerante Menschen, die glauben, dass nur das richtig ist was sie tun und denken, gibt es eben auf der ganzen Welt.

Hallo liebe klara nun bin au i mit der großen welt verbunden u kann alles gut verfolgen/Ablaus-Ablaus-Hände tun schon weh/I ziehe den hut vor dir, dein durchhalte Vermögen trotz vegan, hätte i nie geklaubt. Du bist ab sofort ein vorbild für die alte, kommt wieder gut u gesund nach hause, es grüßt herzlich Daphne Felbinger

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert