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Thoughts

Zum Weltgeschehen.

Seit Mittwoch steht es fest. Donald J. Trump soll es also sein. 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika. Donald. J. Trump. Und alle rasten aus. Aber warum eigentlich?

Die Frage stellte ich mir, als ich am Mittwochmorgen in einem Taxi von der Wahlparty der US-Botschaft nach Hause saß. Im Hintergrund entledigten sich zwei überambitionierte Radiomoderatoren all der Phrasen, die sie sich offensichtlich für den Fall eines Trump-Gewinnes so schon zurecht gelegt hatten, und meine Begleitung sowie auch der Taxifahrer unterhielten sich angeregt über die eventuellen Konsequenzen der so katastrophalen Präsidentschaftswahl. Der Himmel und mein Bewusstsein waren wolkenbehangen, ersteres wegen des für Anfang November so typischen Herbstwetters in Berlin, letzteres, weil wir die Wahlparty erst um vier Uhr resigniert verlassen hatten und ich heillos übernächtigt war. Ich musste erst um 12:30 Uhr in der Uni sein, legte mich also, in meiner kleinen, leeren Wohnung mit den schönen Holzdielen angekommen, müde auf meine Matratze auf dem Fußboden. Bevor mich mein Bewusstsein verließ und sich meine schweren Lider unumgänglich ihren Weg in den geschlossenen Zustand baten, schaute ich noch ein letztes Mal auf mein Handy.

„US Wahlen 2016“ tippte ich in die Suchzeile von Google ein.

„Donald Trump won the presidency.“ stand da, direkt unter einem Porträt und über einer gut durchdachten Infografik zur Verteilung der Wahlmänner in den USA, einer überwiegend rot eingefärbten Karte der Landes im Fokus. Rot für die Republikaner. Rot für die Rednecks. Dachte ich, schaltete mein Handy aus und schlief ein.

Gestern wurde dann plötzlich jeder zum Bedenkenträger der Nation. Ach, was sage ich, der Welt! Alle, und waren sie sonst politisch noch so desinteressiert, schauten plötzlich mit Sorge auf die Geschehnisse auf der anderen Seite des Ozeans, stellten Hypothesen zur neuen Amerikanisch-Russischen Beziehung auf, zu Korruption, Einreisebestimmungen, Handelsbeziehungen. Und das alles, nachdem sie bereits am Wahlabend mit erschreckend selbstbewusst vorgetragenem Chauffeurwissen zum politischen System und dem Wahlprozess Amerikas aufgewartet hatten. Ich hörte zu, ohne mich groß daran zu beteiligen. Was wusste ich schon zu sagen, sicher nichts mit Substanz, und ganz sicher nichts, was nicht irgendjemandem, der politisch deutlich mehr Einfluss hatte als ich, bereits mehr als klar war.

Zusammen mit den neuen Politexperten kamen die Ängstlichen. Die Fürchtenden. Die, welche das Ende unserer Gesellschaft vorhersahen, mit Facebookposts über eingeschüchterte Schulkinder und Referenzen aus George Orwells „1984“. Wir müssten zusammenstehen in diesen schweren Zeiten, müssten Liebe sprechen lassen, jetzt lauter denn je, Grenzen sprengen, unsere Mitmenschen achten, Umsicht üben. „Alles richtig“ dachte ich „aber warum jetzt?“ Das Timing schien mir etwas seltsam, waren das doch alles Maximen, nach denen man auch ohne menschlich fragwürdigen US-Präsidenten leben sollte. Außerdem – war doch noch gar nichts passiert? Offiziell war schließlich noch immer Barack Obama Präsident. Ist er übrigens auch heute noch, nur mal so zur Info. Noch hatte Donald J. Trump also niemandem etwas getan, aber alle hielten sich zitternd bei den Händen.

Das mag jetzt alles geklungen haben, als hatte ich keine Meinung zu dem Ganzen. Stimmt nicht. Habe ich natürlich, so wie wahrscheinlich jeder, der das hier liest. Ich werde euch meine Meinung auch gerne schildern, warne nur schonmal vor, dass sie vorhersehbar und langweilig, vielen von euch vermutlich sogar zu romantisiert und blauäugig ist:

Maktub.

Es steht geschrieben.

Alles passiert aus einem Grund. Und am Ende wird immer alles gut.

Die US-Wahlen, die Wahlergebnisse der AfD, die Flüchtlingskrise, der Brexit und der Aufruhr darum sind doch der beste Anlass, dieses Prinzip zu üben, und sich unermüdlich immer wieder daran zu erinnern. Maktub. Es steht geschrieben. Und am Ende wird immer alles gut.

Ich verrate euch mal ein Geheimnis, das keines ist: Wir, und damit meine ich du, du, der du da gerade vor deinem Bildschirm sitzt und diese Zeilen liest, hast keinen Einfluss aufs Weltgeschehen. Jetzt steigt mir bitte nicht alles aufs Dach, ich weiß, wie das klingt, lasst es mich also bitte erst erklären, bevor ihr diesen Text als für euch belanglos abtut und aufhört, weiterzulesen. Bitte. Danke.

Auf Bali habe ich das wunderbare Buch „The Art of Thinking Clearly“ (zu Deutsch: „Die Kunst des klaren Denkens“) von Rolf Dobelli gelesen, eine Liste all der weit verbreiteten Denkfehler, die sich in unseren Alltag einschleichen, zusammen mit Ratschlägen dazu, wie man sie vermeidet. Eines der insgesamt über 50 Kapitel heißt: „Die Kontrollillusion“ und beginnt mit folgendem Beispiel:

„Jeden Tag, kurz vor neun Uhr, stellt sich ein Mann mit einer roten Mütze auf einen Platz und beginnt, die Mütze wild hin und her zu schwenken. Nach fünf Minuten verschwindet er wieder. Eines Tages tritt ein Polizist vor ihn: ‚Was tun Sie da eigentlich?‘ ‚Ich vertreibe die Giraffen.‘ ‚Es gibt keine Giraffen hier.‘ ‚Tja, ich mache eben einen guten Job.'“

Auf den nachfolgenden Seiten (und in späteren Kapiteln) erklärt Dobelli, wie wir oft dem Trugschluss erlegen sind, dass wir ganz alleine einen riesigen Einfluss auf das Weltgeschehen haben, und dass alles, was schief läuft, durch den gezielten Einsatz unserer ganz persönlichen Fähigkeiten hätte verhindert werden können, hätten wir doch nur gewusst, wie wir es hätten machen müssen. Stellt euch vor. Stimmt nicht.

Kein einzelner Mensch hätte den Rechtsruck verhindern können, der unsere Welt erschüttert. Das Ersuchen um Entschuldigung meiner amerikanischen Freunde via Facebook ist nicht nur ineffizient, sondern vor allem unnötig. Sie sind nicht Schuld. Keiner ist Schuld. Und das müssen wir uns klar machen – aus zwei Gründen.

  1. Wie unglücklich müsste jeder von uns sein, wenn er sich konstant eine Mitschuld an der Weltpolitik auf die Schultern laden müsste? Wie schlecht würde ich schlafen, wenn ich mir eine Mitschuld an PEGIDA zuschreiben würde? Am Brexit? An den Flüchtlingen? Ich will mir nicht vorwerfen müssen, dass ich etwas in meinem Leben falsch gemacht habe, weil die Welt gerade so ist, wie sie ist. Resignation und lähmendes Unglücklichsein sind sicher die letzten Dinge, die unsere Welt jetzt braucht.
  2. Wie demotivierend wäre es, wenn ich alles, was in unserer Welt schief läuft, auf meine Agenda schreiben müsste? Eine Sysiphusarbeit, bei deren Anbick wohl jeder lieber bei einer Tasse Tee auf der Couch sitzenbliebe. Bevor ich mich daran mache, einen amerikanischen Präsidenten zu stürzen, den Nahostkonflikt zu lösen, das Hungern in Afrika zu beenden und den Klimawandel aufzuhalten, konzetriere ich mich doch lieber auschließlich auf die tadellose Bearbeitung meiner Exceltabellen im Büro. Klare Deadlines, zu bewältigende Aufgaben, direktes Feedback. Deutlich angenehmer. Leider auch völlig unproduktiv.

Da schläft man doch besser, wenn man darauf vertraut, dass das alles einem höheren Nutzen dient, den zu übersehen wir nicht verpflichtet sind. Maktub eben. Wenn wir so tun, als könnten wir Geschehnisse wie die US-Wahlergebnisse ändern, sehen wir aus wie der Mann mit der roten Mütze. Was wir also tun sollten, anstatt uns persönlich globaler Missstände anzunehmen, ist, unsere Welt zu verändern. Die Probleme in unserer Welt zu ändern. In dem Mikrokosmos, in dem wir uns täglich bewegen, und auf den wir tatsählich einen nennenswerten Einfluss haben, einen, der größer ist als ein Siebenmilliardenfünfhundermillionenstel. Die Menschen in unserem Umfeld. Und unsere Gedanken.

Der Postfrau danke sagen. Den Fußgänger noch schnell die Straße überqueren lassen. Den Euro Rückgeld in die Kaffeekasse stecken. Der Oma aus dem Bus helfen. Unsere Wohnung ausmisten. Laut zu Bon Jovi singen. Dem Nachbarn einen schönen Tag wünschen. Die alten Klamotten den Flüchtlingen spenden. Tun, was wir eben tun können, anstatt nichts zu tun, weil sich am großen Ganzen eh nicht rütteln lässt. Das ist im Übrigen auch das, was einen Glücklich macht. Was wahres Glück bedeutet. Alles, was man ändern kann, zum Bestmöglichen zu ändern. Dann leistet man nämlich so ganz nebenbei einen kleinen Beitrag zu einem guten großen Ganzen, einen sanften, aber in der Masse sicher nicht unwichtigen Schubs in eine gute Richtung.

An allem anderen lässt sich einfach nicht rütteln. Und das ist gut so. Denn wenn wir mal ehrlich sind, will doch niemand von uns die Verantwortung für 7,5 Milliarden Menschen übernehmen, oder?

Solange wir unsere persönliche Welt zur bestmöglichen Welt machen, dürfen wir uns was Trump und all die anderen Pappnasen angeht entspannt zurücklehnen, die Hände hinterm Kopf verschränken und sehen was passiert. Hier ein verrückter Vorschlag: Machen wir uns doch mal alle von den Vorurteilen frei, von denen wir immer behaupten, dass wir sie gar nicht hätten. Wer kann denn wissen, ob er ein schlechter Präsident ist, hm? Ich hab ihn noch nie in dem Amt gesehen, uns ihr vermutlich auch nicht. Dass ich ihn als Mensch für ein absolut unmoralisches, patriotistisches, irrationales, rassistisches und patriarchalisches Arschloch halte, ist in diesem Kontext völlig irrelevant. Am meisten lernt man doch sowieso von den Menschen, die einem vor Augen führen, wie man nicht sein will. Und mir persönlich hat Donald Trump jetzt noch nichts getan.

Das einzige, was mir an dieser Wahl Angst macht, sind nicht Trump und seine Agenada, nicht die politischen Konsequenzen, die seine Präsidentschaft eventuell nach sich ziehen wird. Es ist viel mehr die Tatsache, dass es da draußen millionen von Menschen zu geben scheint, die ihn offenbar nicht für ein unmoralisches, patriotistisches, irrationales, rassistisches und patriarchalisches Arschloch halten. Diese Menschen ängstigen mich, weil ich mich fragen muss, nach welchem Moralkompass die wohl ihr Leben ausrichten. Aber ich weiß auch, dass solche Menschen meine kleine Welt, solange ich nur gut auf sie Acht gebe, nie negativ beeinflussen können werden. On das passiert, liegt schließlich in meiner Hand.

Und das ist doch ein echt gutes Gefühl.

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