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Zeit Forum Wissenschaft: Die Kunst des Verzichts

Vergangenen Donnerstag hatte ich mal wieder eine interessante Veranstaltung in meinem Kalender stehen. Als treuer Fan der Wochenzeitschrift Zeit, der ich nunmal bin, hatte ich mitbekommen, dass der Zeit-Verlag wieder mal zum Wissenschaftsforum eingeladen hatte. Das schöne an der Veranstaltung: Sie kostet nichts, bis auf die Zeit, die es braucht, sich eben per E-Mail anzumelden. Schön, oder? Dachte ich auch. Und so stand ich pünktlich um 18:50 Uhr (um frühes Erscheinen wurde gebeten, da dieses Mal das Deutschlandradio alles aufzeichnete) vor der Berlin Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in der Markgrafenstraße, direkt, und damit meine ich DI-REKT am in der Weihnachtszeit so besonders schönen Gendarmenmarkt.

Ich schmiss meine Jacke an der Garderobe ab, ließ meinen Namen in der Besucherliste abhaken und suchte mir dann einen ausreichend unauffäligen, jedoch in der Akustik gut gelegenen Sitzplatz. Um 19:00 Uhr ging es los. Und meine Welt wurde in den kommenden 60 Minuten einmal so richtig durchgerüttelt.

Ich hatte mich ja mit übertrieben großer Selbstzufriedenheit in diese Veranstaltung gesetzt. Um nachhaltigen Lebensstil sollte es gehen, um Kritik an unserem zweifelsohne absolut unnachhaltigen und übertriebenen Konsum, um die Konsequenzen und Alternativen. Die Redner waren

Prof. Dr. Niko Paech, Lehrstuhl für Produktion und Umwelt der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg und Autor des Buches „Befreiung vom Überfluss – Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie“

Nina Rieke, Werberin und Chief Strategy Officer DBB Group GmbH und

Sina Trinkwalder, (Sozial) Unternehmerin und Geschäftsführerin Manomama GmbH

sowie zwei Moderatoren aus der Zeit-Redaktion. Sehr passend zum Thema, und ich war bereit, mir durchweg mein gutes Gewissen bestätigen zu lassen, ich, die ich mein Kaufverhalten bereits auf ein Minimum reduziert habe, größtmögliche Bögen um Neuware jeglicher Art schlage und das nachhaltigst mögliche Essverhalten an den Tag lege. Was sollte mir bitte passieren? Ja. Viel, nach Niko Paech.

Offensichtlich kann man nämlich, egal wie sehr man sich anstrengt, in keinem Falle so nachhaltig leben, dass es auch nur eine Flugreise im Jahr wieder ausgleicht. Diese erste Feststellung trieb mir bereits einen kalten Pfahl aus Schuldbewusstsein und Zukunftsangst durchs Herz. Ich hatte doch erst am Vorabend mal wieder in einer absoluten Spontanaktion, hervorgerufen durch unterirdische Flugpreise, meinen Besuch bei meiner lieben Esther (treue Leser erinnern sich vielleicht) in Rotterdam gebucht. Und im Jahr 2016 war ich insgesamt…moment… zwölf mal in ein Flugzeug gestiegen. ZWÖLF MAL!! Davon VIER Langstreckenflüge. Meine CO2-Bilanz sah wohl doch nicht so rosig aus, wie ich sie eingeschätzt hatte.

In den folgenden Minuten der Diskussion hörte ich nur noch mit halbem Ohr zu (gute Argumente, super Redner, schicke Veranstaltung), denn in dem atmosphärischen Rauschen, welches nunmehr meine Gedanken übernommen hatte, formten sich Szenarien, in denen ich als einzige Frau unter zehn Männern acht Wochen lang auf einer klammen Matratze im dunklen Bauch eines Containerschiffs ausharrte, um eventuell in meinem Leben wenigstens noch einmal die süße Luft der Neuseeländischen Ostküste schnuppern zu dürfen. Und wie sollte ich es bitte jemals in den Iran schaffen, wenn ich über Land über die Türkei (quasi unmöglich), Armenien, Azerbaijan, Afghanistan, Turkmenistan, Pakistan oder den VERDAMMTEN IRAK einreisen müsste? Ich sah mich geduckt in Löchrigen Vans sitzen, mir verstaubtem Gesicht und altem Schweiß auf der Haut und kriegte Schnappatmung, während sich auf dem Diskussionspodium weiter seelenruhig über die Postwachstumsökonomie ausgetauscht wurde.

„Es gibt eine Konkurrenz auf unseren Ackerflächen“ hörte ich nun wieder „zwischen Weizen und Smartphones. Ich habe kein Smartphone. Nie besessen.“ Papa? Nein. Konnte nicht sein. Es war wieder Niko Paech, der noch immer fröhlich alle Missstände in unserer Gesellschaft aufzeigte, ohne Rücksicht auf meine arme, geschundene, panische Seele zu nehmen. Jetzt brannte mir auch noch mein Billigsmartphone aus China in der Tasche, und zwar gewaltig. Traumhaft.

Am Ende der Stunde ertönte Applaus, ich klatschte, die massiven Steinwände des Leibniz-Saals warfen die klappernden Laute zurück und hüllten die gesamte Zuhörerschaft in eine wohlige Wolke aus freudiger Zustimmung. Mir war noch immer schlecht, doch Gott sei Dank hatte mein kleines, analytisches Hirn, welches zwar ordentlich Nachteile, aber ganz gewiss auch einige Vorteile mit sich bringt, einen Notfallplan bereitgelegt. Ich hatte ja sowieso auf meiner Liste stehen, nochmal mit der Transsibirischen Eisenbahn von Moskau nach Peking zu tuckern. Nord- und Südkorea sowie Japan und Indien waren von da aus auch nicht mehr so weit, durch die Mongolei verlief die Strecke ja sowieso, und wenn man schon mal in Indien ist können auch gleich Sri Lanka, Taiwan, Nepal und Myanmar mit abgehakt werden. So. Eine Busreise über Turkmenistan in den Iran war sicher weniger schlimm, als man sich die so ausmalte, und wenn mich nicht alles täuschte brachte mich zur Not auch eine Fähre von Spanien nach Marokko, und wenn man es nach Marokko geschafft hat, kommt man auch nach Südafrika, irgendwie, und sieht bei der Reise sogar noch ordentlich was. Die Amerikas stellten schon eher ein Problem dar, aber die USA ließen sich ja gut per Roadtrip erschließen, und nach New York dauert es mit dem Schiff auch nur etwa 10 Tage. So. Klang doch ganz vernünftig. Oder vielleicht auch nicht. Ich wusste es nicht. Noch immer brannte mein Telefon in meiner Tasche.

Ich wankte benommen nach Hause. Das war sie also, unsere Zukunft. Meine Zukunft. Und meine Überheblichkeit. Die hatte ich an diesem Abend im Leibniz-Saal der Akademie gelassen. Wurde von mir nicht mehr benötigt, und so konnte sie einer der vielen Intellektuellen mit ihren runden Brillen und halben Glatzen für sich beanspruchen. Wohl unnötig zu erwähnen, dass ich in jener Nacht verdammt schlecht schlief.

Fazit? Tja. Wenn ich das mal wüsste. Was ich bereits gut mache, wird natürlich beibehalten. Denn nichts ist schlimmer als Aufgeben, da sind wir uns sicher einig. Und was alles andere Angeht, steht jetzt wohl die Abgewöhnung an. Vom Smartphone. Von den Flugmangos aus Indien. Vom Agavendicksaft aus Mexiko. Von den Putzlappen zum Wegwerfen.

Aber das Fliegen, liebe Freunde. Was mach ich nur, was mach ich nur. Fliegen, solange ich noch kann? Ist das nicht irgendwie so wie Schweinefleisch aus der Mastanlage essen, solange es noch nicht verboten ist? Oder anders, weil die fossilen Brennstoffe nunmal nur begrenzt vorhanden sind?

Nicht mehr fliegen? Weniger fliegen? Bei jeder Flugbuchung die freiwillig zahlbare CO2-Gebühr entrichten? Als würde noch mehr Geld uns Sauerstoff kaufen.

Ganz ehrlich Freunde.

Ich weiß es einfach nicht.

Aber ich melde mich natürlich sofort bei euch, sobald sich daran was ändert. Und ich nehme gerne Vorschläge entgegen. Dieses Mal kann ich sie wirklich verdammt gut gebrauchen.

3 Antworten auf „Zeit Forum Wissenschaft: Die Kunst des Verzichts“

Meine Ideen wären: Warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Deutschland entdecken (z.B. die wunderschöne Südpfalz 😉 ) ein Stück vom Jakobsweg laufen, mich mit in die Transsibirische Eisenbahn nehmen 😀 ? Ich denke alles ohne Flug machbar 😉

Gruß Lukas G.

Liebe Klara, es wird wohl genau so viele Lösungen wie unterschiedliche Menschen geben . . . Ich habe mal in den den 90’ern für Greenpeace gearbeitet und Unterschriften gegen Walfang und Umweltverschmutzung gesammelt. Wir haben Plakate geklebt und Veranstaltungen ins Leben gerufen. Ich habe dort die Großen „Macher“ kennen gelernt, die ganz toll reden konnten. Ich habe damals echt gedacht . . . mein Gott, wie klein ist doch meine Welt. Und bei allem Gerede und Gequatsche kommt dann irgendwann heraus, daß die das im Alltag dann doch nicht so eng sehen und mit alten Pickup Truck’s, die 30 Lieter schlucken, durch die Gegend fahren. Es passt halt so gut zu den Dreadlocks und ist Mega Old School.
DU . . . Klara Strube, machst schon viel viel mehr als die meisten um uns herum. Und glaube mir, die grünsten und Umweltbewustesten Leute dieser Welt, haben mehr Flugkilometer auf der Uhr und selbst der Dalai Lama geht nicht mehr zu Fuß :-))
Ich würde jetzt mal sagen, fliege soviel du kannst, inhaliere die Welt und gehe in die Forschung/Entwicklung.
Vieleicht hast du ja die eine oder andere Idee, die uns Menschen voran bringt . . . ich glaube schon.
Ich drücke dich aus der Ferne und denke das du alles richtig machst
Bis hoffentlich bald . . . Ronny

Schönfeldts meinen, “ Ronny“ hat alles Recht –
er erinnert uns an die Zeit, in der wir mit unseren Bremer Freunden sehr motiviert und sehr aktiv in die Bremer Kommunal- und Landespolitik „eingegriffen“ haben nach dem Motto „Tu doch was “ und an die Art und Weise wie ich meinen Beruf ausgeübt habe-
über das Fazit schreibe ich seit Jahren ein Buch. – auch wir glauben, das wir alles richtig gemacht haben ……….

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