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Rotterdam, Part I

Mein Herz lacht. Da hat mich dieses verrückte Universums-Schicksals-Maktub-Ding doch tatsächlich wieder an einen so wunderbaren Ort geführt, dass ich mein Dauergrinsen kaum noch unter Kontrolle zu bringen weiß. Auf meiner mentalen Liste der unterschätzten Städte gibt es seit kurzem einen neuen Eintrag: Rotterdam.

Treue Blogleser/innen (wir sind hier jetzt PC, damit nicht irgendwann eine Gleichstellungsbeauftragte hinter einer Häuserecke hervorspringt und mich mit einer vollständig zensierten Ausgabe des Playboys verhaut) erinnern sich sicher an Esther. Die hatte ich im vergagenen Mai in Siem Reap kennengelernt und war dreieinhalb Wochen lang mit ihr durch Kambodscha und den gesamten Süden Vietnams gereist – vielleicht klingelt da was bei euch. Jedenfalls wohnt Esther in Rotterdam, und wie bereits in meinem voreletzten Artikel erwähnt, hatte ich an einem kalten Novembermorgen zehn Minuten vor Abfahrt zur Uni höchst spontan einen spottbilligen Flug von Berlin Schönefeld nach Rotterdam gebucht – für den 23. Februar. Und so stieg ich gestern abend in ein Flugzeug in die Niederlande.

Ich hätte mir keinen schlechteren Zeitpunkt aussuchen können. Für gestern Abend galt in Rotterdam eine Sturmwarnung und durch die Hafenstadt fegten Sturmböen von bis zu 120 km/h. Das macht mir persönlich herzlich wenig, solange ich nicht in einer Boeing 737 mehrere tausend Meter über dem Boden durch die Luft rase. Das war nur leider der Fall. Ich denke, ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass meine Landung in Rotterdam die schlimmste Flugzeuglandung war, die ich je erlebt habe. Bis zum Schluss war ich mir nicht sicher, ob wir die Landebahn treffen würden. Taten wir. Ein anderes Flugzeug am selben Flughafen leider nicht. Mein Schutzengel ist eben im Dauereinsatz.

Einmal sicher gelandet dauerte es aber auch nur noch wenige Minuten bis zu Esther. Mein Uber-Fahrer Sharukh brachte mich in seinem Skoda sicher bis vor Esthers Haustür, ich klingelte, und es öffnete mir eine Frau in richtigen Hosen, geschminkt, frisiert. Das war dann wohl Esther. Nur hatte ich sie vorher noch nie so gesehen: So überhaupt nicht nassgeschwitzt, nicht luftig gekleidet, die Beine nicht in dünne Elefantenhosen gehüllt. Ihr ging es wohl ähnlich mit mir, aber wir erkannten uns dennoch. Eine herzliche Umarmung, ich trat ein, warf meine Sachen von mir und setzte mich um 21:15 Uhr an den gedeckten Abendbrotstisch. Meine Gastgeberin hatte gekocht, asiatisch, versteht sich. Wir kippten Sojasauce auf unseren Reis in Gedenken an magere Zeiten in Saigon, prosteten uns mit zwei Gläsern Kranwasser zu und versanken in Erinnerungen an unsere Reise.

Um Elf Uhr, als wir bereits einige Zeit mit jeweils einer Tasse heißen Tees in der Hand auf der Couch gesessen und uns über unsere aktuellen Lebenssituationen aufgeklärt hatten, war es Zeit, ins Bett zu gehen. Ich hatte die Wahl zwischen Gästekammer und dem Platz neben Esther in ihrem Boxspringbett – Die Entscheidung fiel mir nicht schwer. Also lagen wir da, wie auf Wolken gebettet, und erinnerten uns so lange gemeinsam an all die Male, die wir bereits in Asien in einem Bett hatten schlafen müssen, bis uns irgendwann die Augen zufielen.

Heute morgen klingelte der Wecker um viertel vor acht. Esther musste zur Arbeit, und ich hatte eine neue Stadt zu erkunden. Um zehn nach Acht war Esther aus dem Haus und hatte mich mit allen Informationen versorgt, sich geschminkt, angezogen und Frühstück gegessen. Wenn man bedenkt, dass ich mir für all diese Dinge morgens gerne zwei volle Stunden Zeit lasse, auch, wen das bedeutet, dass ich manchmal um 05:30 Uhr aufstehen muss, hat Esther doch ein beachtliches Tempo drauf.

Als ich allein war, kochte ich mir Porridge und einen grünen Tee, wickelte mich in die Sofadecke und plante meinen Tag. Der Mensch ist eben ein Gewohnheitstier. Und morgens bin ich es ganz besonders.

Um 09:40 Uhr lief ich los in die Innenstadt. Ich hätte natürlich auch fahren können, aber der Wind war abgeklungen und die Sonne schien, sodass ich mich dazu entschied, einen halbstündigen Fußmarsch zum Hauptbahnhof anzutreten. Warum auch nicht? Man lernt eine Stadt doch sowieso immer am Besten kennen, wenn man sie zu Fuß erkundet. Also los.

Rotterdam ist schön. Punkt. Die Reaktion, welche ich am häufigsten zu hören bekam, als ich von meinem Kurztrip nach Rotterdam berichtete, war: „Ach, also warst du schon in Amsterdam?“. Nein, ich war noch nie in Amsterdam. Schock-Horror. Man stelle sich das vor! Selbst Sharukh konnte es gestern abend kaum glauben. Aber nein, diese Perle von Stadt durfte sich bis Dato noch nicht über einen Besuch meinerseits freuen. Liegt vielleicht daran, dass dort keine Freunde auf mich warten. Jedenfalls war ich froh, gerade in Rotterdam zu sein, als ich heute morgen am Wasser entlang gen Zentrum schlenderte.

Erste Station war der Hauptbahnhof. Der mag für manche nichts besonderes sein, doch er trifft genau meine Schwäche für Design und moderne Architektur. Also stand ich bald in der Mitte der großen Eingangshalle, den Kopf in den Nacken gelegt, und drehte mich einige Male um die eigene Achse. Als ich vor Schwindel den ersten Ausfallschritt machen musste, hörte ich auf, in der Öffentlichkeit zu rotieren (man wird dafür auch gerne mal mit verwundert-verächtlichen Blicken bedacht) und setzte meinen Weg fort.

Ich hatte ein sehr konkretes Ziel: Das Museum Boijmans van Beuningen. Eines der größten Kunstmuseen hier – wer hätte das gedacht, Klara in einem Kunstmuseum! Kaum vorherzusehen, ich weiß. Na jedenfalls öffnete das Museum erst um 11:00 Uhr, und als ich mich auf direktem Wege dorthin befand, war es erst 10:15 Uhr. Die einzig logische Folge aus diesem Umstand war eine Pause in einem Café. Ich mag Esther sehr, doch sie trinkt keinen Kaffee (Den Hauptsatz musste ich anfügen, denn der Nebensatz allein reicht in meiner Familie aus, um sich als potenziell sympathische Person zu disqualifizieren.), weshalb ich unter latenten Entzugserscheinungen zu leiden begann. Die Coffeecompany war ein willkommener Gastgeber auf meinem Weg, versorgte mich mit einem doppelten Sojacappuchino und einem gemütlichen Sitzplatz. Das war alles, was ich in diesem Moment brauchte.

Um viertel nach elf stand ich im Boijmans für eine Eintrittskarte an. Die Tickets sind – ach, was soll ich mich unnötiger Euphemismen bedienen – sauteuer, aber bekannter Maßen sind Eintrittskarten ja einer der Posten, die mir beim Geldausgeben weniger Schmerzen bereiten. 11€ für Studenten statt 18,50€ Normalpreis. Ich erwartete viel – und wurde nicht enttäuscht.

Selten in meinem Leben habe ich eine so perfekt durchdachte Ausstellung gesehen. „Gek – Mad about Surrealism“ hieß sie. Es gint – wie der Name vermuten lässt – um Surrealismus und Dadaismus, und für beides habe ich durchaus viel übrig. Magritte, Dalí, Matisse, Ernst, Picasso – alle da, und alle perfekt, aber wirklich PER-FEKT in Szene gesetzt. Das Museum war für einen Freitag Vormittag verdammt gut besucht, weshalb ich mindestens genau so gut damit beschäftigt war, die Besucher ebenso eindringlich zu betrachten wie die Kunstwerke an den Wänden.

Ich schlich von Raum zu Raum, las, hörte zu, sah hin, hielt inne, zog weiter. Zweieinhalb Stunden lang. Eine knappe Stunde dieser Zeit widmete ich der Hauptausstellung des Museums (schließlich hatte ich dafür bezahlt! So!), doch es scheint immerwieder, als könnte mich nichts von vor 1850 so richtig vom Hocker hauen. Da hingen dann Werke von Rubens und van Eyck und weiß Gott wem, große, berühmte Sachen – doch der Ruhm hilft da nichts, was mich nicht packt, packt mich eben nicht. Egal, wer das Bild signiert hat. Dementsprechend schnell hatte ich mich durch die 39 verbleibenden Räume gearbeitet. Meiner Laune tat das natürlich absolut keinen Abbruch.

Als ich mich wieder in meine Jack gehüllt hatte, spazierte ich durch strahlenden Sonnenschein, vorbei an kleinen Boutiquen und Galerien hin zum Hopper Café, eine Empfehlung von Esther. Mittagspause. So gegen zwei.

Es gab ein Sandwich mit Hummus, Tomate und Rucola, ein Glas hausgemachten Eistees und zum Nachtisch noch einen Sojacappuchino. Weil ich es kann. So. und eineinhalb Stunden später wanderte ich, jetzt nicht mehr hungrig und einigermaßen koffeeiniert, zum Witte de With Center of Contemporary Art, dem Zentrum für zeitgenössische Kunst. Warum auch nicht. Zu viele Museen gehen ja bei mir quasi gar nicht.

Die kommenden 100 Minuten war ich also in diesem Gewirr aus Fotografien, Filmarbeiten und Installationen gefangen. Ein gutes Gewirr, welches mich sehr an dieses eine Museum in Singapur erinnerte (hab den Namen vergessen, Gott sei Dank schreibe ich einen Blog), aber eben ein Gewirr. Als mich das Museum irgendwann wieder ausspuckte, musste ich mich kurz orientieren, bis ich wieder wusste, wo ich eigentlich war und was ich da wollte.

Da zu diesem Zeitpunkt (17:15 Uhr des heutigen Tages) noch nicht ganz klar war, wann und ob Esther und ich und in der Stadt oder bei ihr zu Hause wieder treffen würden, beschloss ich, bei einem Matcha Latte und meinem aktuellen Buch, welches ich bereits den ganzen Tag mit mir herumgeschleppt hatte, ein wenig Zeit totzuschlagen. Also saß ich da hinter bodenlangen Fenstern im… King Kong, glaube ich, auf einem Sofa, in einer Hand meinen Tee, in der anderen mein Buch, und wechselte gedanklich in regelmäßigen Abständen zwischen der Reise des Buchautors in der Transsibirischen Eisenbahn und dem bunten Treiben auf den Straßen Rotterdams, in welchem ich mich aktuell befand.

Als der Matcha ausgetrunken war stand fest: Das dauert länger bei Esther. Also machte ich mich auf den Heimweg, ich war mittlerweile doch ziemlich fertig von dem langen Tag und konnte eine kleine Pause zu Hause ganz gut gebrauchen. Außerdem bekam ich Abendbrotshunger. Ich spazierte durch die Innenstadt zurück zum Hauptbahnhof. Es wurde langsam dunkel und damit auch kälter, doch das machte mir wenig. Ich vergrub mein Gesicht einfach in meinem grauen Schal, steckte meine Hände extra tief in meine Jackentaschen und wanderte forschen schrittes auf dieses verrückte Bahnhofsgebäude zu, hinter dem gerade, sehr pittoresk, die Sonne unterging.

„Nirgendwo wäre ich gerade lieber als hier.“ stellte ich fest, und murmelte die Worte auch lieber gleich mal in meinen Schal, damit welch immer Geist uns Menschen nun umgibt es auch sicher hören würde.

Nach einiger Verwirrung fand ich die Tram, die mich nach Hause bringen sollte, was sie tat, sodass ich um 19:00 Uhr wieder in Esthers wunderschönem, kleinen Stadthaus eintrudelte, um mir Abendbrot zu machen und einen Tee zu trinken. Ersteres ist bereits geschehen, letzteres geschieht, während ich diese Zeilen hier tippe. Um neun Uhr bin ich mit Esther wieder am Hauptbahnhof verabredet, offebnbar hat sie ein Glas Wein nach diesem Arbeitstag sehr nötig. Da schließe ich mich doch gerne als Gesellschaft an, auch, wenn ich jetzt gefühlt auch einen zwölfstündigen Nachtschlaf beginnen könnte.

Ich werde berichten.

2 Antworten auf „Rotterdam, Part I“

Wieder sehr unterhaltsam, liebes Kind. Du munterst mich auf, während mich ein ziemlich fieser, grippaler Infekt unter der Daunendecke gefangen hält. Machs dir hübsch.

Liebe Klara, Du „ersparst“ uns durch Deine ausführlichen Reisebeschreibungen eine Reise nach Rotterdam !! Die Surrealisten würden wir
allerdings auslassen, alles andere „TOP“ . Mit dem „Hummus“ auf dem Essteller wüssten wir allerdings auch nicht viel anzufangen. Aber in Deiner Begleitung kriegten wir den auch runter und würden alles mit Deinen begeisterten Augen und Sinnen gern teilen. So machen wir es heute
virtuell!

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