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Czech Republic

Prague

Ich würde mich ja im Allgemeinen als gut bereist bezeichnen. Nach meiner Rückkehr aus Südostasien hatte ich dreißig Länder auf der Uhr, was mich mächtig stolz machte. Allerdings fiel mir kurze Zeit später auf, dass ich mich zwar durch die kambodschanische Trockenzeitsteppe gearbeitet, jedoch nicht mal alle an Deutschland angrenzenden Länder bereist hatte. Um genau zu sein, fehlten noch zwei: Tschechien und Luxemburg. Während Luxemburg in meiner Vorstellung nicht viel größer ist als vier aneinandergrenzende Fußballfelder und zu 98% aus Weinbergen besteht (ihr seht, es gibt noch viel zu lernen), hatte ich schon so viel Gutes von Prag gehört und auf Bildern gesehen und hatte es trotz der vergleichsweise wirklich unproblematischen Erreichbarkeit noch nie dort hin geschafft. Einfaches Problem, einfache Lösung: Semesterferien, Busticket buchen, Mutter einsacken, losfahren, angucken.

Flixbus sei Dank kann man sich in Berlin morgens um neun Uhr in ein Vehikel setzen, welches einen über Dresden auf direktem wege nach Tschechien bringt und einen fünfeinhalb Stunden später in Prag wieder ausspuckt. Mama und ich vertrieben uns die Zeit mit Lästereien und wilde Spekulationen über unsere Mitfahrer. Wer waren sie, wo wollen sie hin, würde das Pärchen vor uns jemals aufhören, sich alle vier Sekunden zu küssen? Alles Fragen, die genau erörtert wurden, als  sich der Bus durch immer karger anmutendere Landschaften in Richtung der goldenen Stadt manövrierte.

Als wir ankamen, schien die Sonne. Wir erbaten das Ausladen unseres Gepäcks, was von dem dafür zuständigen Herren mit lautem und latent aggressivem gezeter auf Tschechisch quittiert wurde. Ich war belustigt, meine Mutter bedrückt. Hätte der Mann auf einer ihr verständlichen Sprache gewettert, hätte sie sich wahrscheinlich auf Knien für alle Unannehmlichkeiten entschuldigt und den nächsten Zug zurück nach Hause genommen. Ich bestellte uns ein Uber, auch das fand meine Mutter höchst bedenklich, doch als wir dann bei einem jungen Studenten auf der Rücksitzbank saßen und uns augenscheinlich auf direktem Wege zu unserem Hotel befanden, war sie doch ganz glücklich. So einfach! So schnell! So günstig!

Unser Hotel war ein echter Glücksgriff. Ebenfalls von der Frau Mutter ausgesucht, lag das Leonardo in unmittelbarer Nähe der Karlsbrücke, hatte unheimlich freundliche Angestellte, schöne Zimmer und gutes Frühstück. Kann man mehr verlangen? Wahrscheinlich nicht. Wir waren jedenfalls mehr als zufrieden, gönnten uns jeweils eine Tasse löslichen Kaffees im Hotelzimmer (Hafermilch hatte ich, weitsichtig wie ich war, im Gepäck) und machten uns auf, die Stadt zu erkunden. Es war vier Uhr Nachmittags.

An jenem Abend blieben wir erstmal auf unserer (der östlichen) Seite des Vltava und erliefen die Altstadt. Ich war begeistert. Ich muss ja sagen, ich fühle mich ständig hin- und hergerissen zwischen Stadt und Natur (wenn Berlin am Selketal läge, wäre die Sache für mich klar), aber irgendwie bekommen es doch immer von Menschen geschaffene Dinge hin, dass ich wirklich tief berührt bin. Wald, Wiesen, Flüsse, Berge und Meer sind schön, sie beruhigen mich, sind wie Inseln im Alltag, aber Städte berühren mich. Das ist was anderes, das ist aktiv, das ist gut. Ich weiß nicht, ob das Sinn macht. Vielleicht versteht ihr ja, was ich meine.

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So schlenderten Mama und ich also durch die Prager Gassen. Aßen eine Suppe in diesem Café, Mama ein Trdelník an jenem Stand, und im Vorbeilaufen fanden wir das Wachsmuseum und beschlossen, dass man sich das ja eigentlich mal angucken könnte. Gesagt, getan.

Wir wanderten also durch ein leicht gekühltes, mittelalterliches, wächsernes Prag, und da uns keine Erklärungen zur Verfühung standen, dachten wir uns einfach unsere eigenen aus. Das können wir ja gut, die alte Henne und ich. Sarkasmus und humoristische Worte mit akkurater Grammatik und scharfem, subtilem Witz. Hätte es in der Schule ein Unterrichtsfach zu dem Thema gegeben, wir wären Musterschülerinnnen geworden. Und so arbeiteten wir uns langsam durch die verschiedenen Zeitalter, während sich in unseren Köpfen eine ganz sicher nicht korrekte, dafür mehr als unterhaltsame Stadtgeschichte entsponn. Irgendwann waren wir bei den neuzeitlichen Persönlichkeiten angekommen, und während ich versuchte, anhand böser Blicke die scientologischen Gedanken aus der Tom Cruise Wachsfigur zu treiben, erfühle Mama die, wie sich herausstellen sollte eher pappig-enttäuschende, Brustmuskulatur des Taylor Lautner.

Irgendwann hatten wir alles gesehen, was diese Seite des Flusses architektonisch zu bieten hatte: Synagogen, Kirchen, Rathäuser, den Pulverturm, die astronomische Uhr. Außerdem hatten wir uns druch zahlreiche Geschäfte mit landestypischen Souvenirs gearbietet, feshalten lässt sich wohl, dass der kleine Maulwurf das Prager Äquivalent zum ostdeuschen Ampelmännchen in Berlin zu sein scheint.

Aufgrund zahlreicher Snacks waren weder Mama noch ich so richtig hungrig, dafür aber müde, und beschlossen, uns ins Bett zu begeben. Wir schliefen beide herrlich gut.

Am nächsten Tag sollte die Prager Burg erkundet werden. Wir waren früh dran, hatten ein hervorrgendes Frühstücksbuffet mit auffällig attraktiver Bedienung genossen (ein großartiger Start in den Tag für zwei alleinreisende Frauen) und fanden die Karlsbrücke daher fast komplett leer vor. Ein echter Privileg, welches wir zu nutzen wussten, indem wir uns betont langsam und in Zickzacklinien zur anderen Seite des Flusses vorarbeiteten.

Die Burg war ähnlich leer. Keine Schlangen, nur so ein Flughafen-Metalldetektor Ding und zwei gelangweilte Wachen. Meinen Rucksack musste ich abnehmen, bevor ich mich durch die Sicherheitskontrolle begab – sehr logisch, wer bewahrt schon einen Sprengsatz in einem Gepäckstück auf, nicht wahr?

Na jedenfalls waren wir schnell drin in der Prager Burg, von nun an umringt von mäßig geschichtsinteressierten Schulklassen aus Westeuropa und Reisegruppen aus Ostasien, deren Mitglieder sich ständig mit ihren Selfie-Sticks ins Gehege kamen. Wir schoben uns also vorbei an den hektischen Touristen aus der Volksrepublik China (wer nur zwei Wochen Urlaub im Jahr hat tut gut daran, sich an einer europäischen Sehenswürdigkeit nie länger als 30 Sekunden und 136 Handyfotos aufzuhalten) und beschritten den Königspalast, die St. Georgs Basilika, den Wladislaw-Saal, den St.-Veits-Dom und natürlich das Goldene Gässchen. Hier versperrten uns drei circa 1,50 Meter große Asiatinnen mit Hut den Weg zu Kafkas ehemaligem Wohnhaus, weil sie der Osterkranz, welcher an der Tür angebracht war, offensichtlich sehr faszinierte und sie so zu einer zehnminütigen Fotosession verleitete. Da werde ich ja ungeduldig. Mama auch. EIne schöne Atemübung war das.

Als wir alles wichtige gesehen hatten war es Zeit fürs Mittag. Vor der Burg hatte sich mittlerweile eine ansehnliche Schlange aus Menschen gebildet, sie auf ihren Einlass warteten. Mal wieder alles richtig gemacht, so viel Stand fest. Fünf gehminuten von der Burg entfernt fanden wir das Vegan’s Prague, ein rein veganes Restaurant. Gar nicht so schwer, wenn man sich ein bisschen informiert. Ich aß traditionell tschechisches Svíčková, nur eben vegan, und genoss das sehr, genau so wie die hausgemachte Limonade. Außerdem war die Bedienung hervorragend freundlich und sowieso waren sowohl Mama als auch ich sehr begeistert.

Da wir den Hauptprogrammpunkt für den Tag bereits abgearbeitet hatten, schlenderten wir einfach ein wenig weiter durch die Stadt, fröhnten dem Schaufensterbummeln und kamen, natürlich ganz rein zufällig, irgendwann an der Eisdiele an, welche uns die nette kleine Rezeptionistin im Hotel so sehr ans Herz gelegt und sogar auf unserem Stadtplan eingezeichnet hatte. Im Angelato aßen wir Eis, natürlich vegan, und zwar beide das gleiche: Eine Kugel Schokoladeneis und eine Kugel Orangen-Basilikum-Sorbet. Dazu einen Sojacappuchino. Besser wird es ja bekanntlich nicht mehr, und so aßen wir unseren Nachtisch, direkt am Schaufenster sitzend und die Mode des vorbeischreitenden Publikums kritisch bewertend.

Den Zuckerhaushalt wieder auf ein aktivitätsunterstützendes Level gebracht stiegen wir direkt gegenüber der Eisdiele in die Standseilbahn auf den Petrin. Spazierten durch den Park, vorbei am Petrin Turm (der tschechische Versuch eines Eiffelturms) hinein in das alte Spiegelkabinett. Das ist – klein. Sehr klein. Doch da sich Eintrittspreise in Prag besonders für Studenten für mich selten auf mehr als 2,50€ belaufen, konnten wir über diesen Mangel hinwegsehen und arbeiteten uns, ohne größere Kollisionen, durch den Irrgarten, der ja gar kein Garten war, sondern eben ein Spiegelkabinett. Logisch.

Als wir alles gesehen hatten, was es unserer Meinung nach auf dem Petrin zu sehen gab, machten wir uns an den Abstieg durch den Petřínské skalky, den am Berg gelegenen Park, wieder ins Tal und damit in die Innenstadt. Mama würde jetzt sagen, wir hätten uns verlaufen, ich würde sagen, wir hatten ein wenig Abenteuer mit einkalkuliert. So liefen wir, mal auf und mal zwischen Wegen, immer bergab, denn das ist ja bekanntlich immer der sicherste Weg, wieder im Tal zu landen. Zwischendurch machten wir Pause auf einem Kinderspielplatz, um auf den dort aufgestellten Geräten unseren Hüftschwung zu üben. Denn egal wo man so ist auf dieser Welt, ein gut trainierter Hüftschwung hat ja noch niemandem geschadet.

Irgendwann waren wir wieder im Hotel und machten Pause. Und als nicht klar war, ob wir uns nochmal zum Abendessen aufmachen sollten (wieder hatten die vielen Snacks hier und da das Hungergefühl ferngehalten) bekam Mama Heimweh. Am zweiten Abend. Das konnte ich so nicht geschehen lassen, also wurde sich aufgerafft und in ein (sehr!) nahegelegenes, vegetarisch-veganes Restaurant gegangen, welches im Internet über den grünen Klee gelobt worden war – das Clear Head. Gute Entscheidung. Wir aßen Wraps und Pasta und tranken – äh, Wasser, wenn ich mich recht entsinne, und da wir schon ohne großen Hunger angerückt waren, mussten wir nach Beendigung der Mahlzeit noch eine kleine Runde durch das ebdnliche Prag drehen, bevor wir uns wieder auf unser Doppelbett im Hotel fallen ließen. Aber es gibt ja wahrlich unangenehmere Dinge als einen Abendspaziergang durch Prag.

Am nächsten Morgen freuten wir uns erneut über die männliche Bedienung beim Frühstück und zogen auf die Prager Einkaufsmeile, auf der Suche nach Dingen, die man in Prag, aber eben nicht zu Hause finden kann. Wir arbeiteten uns durch diverse Geschäfte (ich blieb mit Vorlieb in den Lebensmittelabteilungen hängen) und kamen, ganz zufällig, an einer Anti-Europa Demo vorbei. Da stellen sich mir ja die Nackenhaare auf, wie spätestens seit meinem letzten Blogpost bekannt sein dürfte, aber wir versuchten trotzdem zu entziffern, was da auf den Transparenten der schreienden Massen stand. Irgendwie haben die ja immer gleich sowas bedrohlich aggressives.

So schnell sollten wir die Demonstranten dann auch nicht loswerden. Als wir uns etwa eine halbe Stunde später auf den direkten Weg ins Loving Hut für ein tierfreies Mittagessen begeben hatten, mussten wir, wohl oder übel, mittendurch durch die Männer und Frauen mittleren Alters mit ihren Schildern und Pauken und Hymnengesängen. Egal. Scheuklappen auf und los war das Motto. Ich war nichts desto trotz erschüttert. Mein liebes Europa. Und so viele Menschen auf einem Haufen, die sich offen dagegen starkmachten. Ich starrte auf den Boden, aus Angst, jemand könnte die zwölf gelben Sterne in meinen Augen glänzen sehen. Dann waren wir am Loving Hut. Auf den Schreck erstmal was essen – und sich über asiatische Küche in Tschechien freuen.

Zum Nachtisch gab es Kaffee bei Costa, gefolgt von einer kurzen Mittagspause im Hotelzimmer, bevor sich Mamas und meine Wege trennten. Mama dürstete es nach etwas Ruhe und einsamem Bei-Kaffee-Aufs-Wasser-Blicken, mir nach zeitgenössischer Kunst, ihr kennt mich ja. Also zog Mama auf die Kampa Halbinsel und ich ins Museum Montanelli. Ich ging wieder verloren zwischen großformatigen Gemälden, in der Ruhe, die zwangsläufig in Kunstmuseen herrscht, in der Ästhetik guter Kunstwerke. So vergingen eineinhalb Stunden, und als ich wieder auf der Straße stand war es Zeit, Mama wieder ausfindig zu machen, denn wir hatten noch was vor.

Auf dem Weg zur Kampa Halbinsel schnappte ich mir noch eben ein Sandwich und einen Kaffee bei Vegan’s, fand dann Mama, und dann mit Mama zusammen ein weiteres Café, in dem wir noch ein bisschen Zeit totschlugen. Wir hatten Karten gekauft, für ein klassisches Konzert in der Spanischen Synagoge. Von der wird behauptet, dass sie die schönste Synagoge Europas sei, und auch, wenn ich noch nicht alle Synagogen Europas gesehen habe, kommt mir diese Behauptung nicht ganz unrealistisch vor. Wir saßen in der ersten Reihe, das Streichquintett spielte Bach, Mozart, Vivaldi, Rossini, Verdi, Bizet, Smetana, Dvořák, Bernstein und Gershwin. Sowohl Mama als auch mir standen nicht nur einmal Tränen in den Augen. Schön war das. Richtig, richtig schön.

Zum Abendessen hatten wir wieder einen Tisch im Clear Head reserviert, es war am Vorabend einfach zu lecker gewesen, um nicht nochmal hinzugehen. Dieses Mal nahmen wir den Großen Teller für zwei Personen, auf dem von jedem veganen Gericht des Restaurants ein bisschen was zu finden war. Das war zwar immer noch zu viel für uns beide, schmeckte aber ausnahmslos großartig. Wieder blieb kein Platz für Nachtisch. Wieder bedauerten wir das nicht. Wieder folgte ein Spaziergang. Dieses Mal ein ausgedehnter.

Noch einmal die astronomische Uhr angucken. Noch einmal durch die gelb beleuchteten Gassen gehen. Noch einmal den Straßenmusikern zuhören. Noch einmal in die Schaufenster gucken. Noch einmal Teil des bunten Treibens sein. Noch einmal Prag erleben.

Am nächsten Tag mussten wir wohl oder übel nach Hause. Das war okay, denn die schöne Bedienung war gar nicht mehr da, sehr zu unserem Leidwesen. Aufgrund des schönen Wetters und der entspannten Zeitplanung schulterten wir unsere Taschen und machten uns zu Fuß auf den Weg zum prager Hauptbahnhof, im übrigen auch ein bemerkenswert hübsches Gebäude.

Als uns der Bus über die tschechisch-deutsche Grenze brachte, hatte Mama drei Trdelník und ich fünf Hanflollis im Gepäck. So hatte jeder bekommen, was er wollte. Und dazu ein paar echt schöne Tage in der Goldenen Stadt gehabt. Auf bald.

2 Antworten auf „Prague“

Super geschrieben. Alles wirklich wahr und so geschehen. Hach. Dat war schön. Danke für den Bericht. Erinnerungen werden wach.

Annelene und Ernst: Es war wunderschön, an Eurem Erlebnis virtuell teilzuhaben. Allein schon die unglaublich schönen und gekonnten Photos
waren ein Gewinn für uns. So ausführlich hatten wir damals Prag nicht erlebt, aber die Begeisterung für diese Stadt lebte
wieder auf.

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