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Paris, Part II

Der nächste Tag war ein Sonntag. Inge und ich wachten sehr gemütlich auf, aßen Frühstück und tranken mehrere Tassen Kaffee, bevor sich unsere Wege trennten. Inge hatte Karten für’s Ballett und ich hatte mich dazu entschieden, mich alleine auf den Weg durch die Stadt zu machen. Gesagt, getan.

Nun hatte ich ja leider keine funktionstüchtige Kamera mehr bei mir, weshalb ich euch nach wie vor mit banalen Handyfotos abspeisen muss. Ich war mittlerweile übrigens mit dem Patienten mal bei der Inspektion und wie sich herausstellt, ist das Objektiv kaputt. Das kostet neu leider 330€, die ich nicht habe, also war’s das wohl erstmal mit meiner Kamera. Ich habe Kamerafachmänner schon schönere Dinge sagen hören als „Da kann man wohl nichts mehr dran machen.“ Ehrlich.

Aber zurück nach Paris.

Ich verließ die Wohnung, ließ die Holztür hinter mir ins Schloss fallen, schmetterte der älteren Dame im Innenhof ein gut gelauntes „Bonjour!“ entgegen und lief durch strahlenden Sonnenschein zum Bahnhof. Am Jardin du Luxembourg stieg ich aus – und hatte offenbar versehentlich den Ort gefunden, an dem sich ganz Paris am Sonntag die Zeit vertrieb. Da standen Menschen im Kreis und fuchtelten, in Sportkleidung gehüllt, mit irgendwelchen Stäben in der Luft herum, von hinten überholten mich regelmäßig Läufer mit neonpinken Trinkflaschen aus Plasik in der Hand, mir liefen Kinder über den Weg, die Eltern an mir vorbei, Rentner lasen Zeitung, Teenies hielten Händchen, irgendwo spielte Musik. Beinahe zu pittoresk, um wahr zu sein, aber das ist in Paris ja vieles.

Ich versuchte also, mich möglichst nahtlos in das bunte Treiben einzufügen und marschierte quer durch den Garten und an gefühlt allen Bewohnern Paris‘ vorbei, bis ich an einen schmiedeeisernen Zaun kam, hinter dem die Stadt plötzlich wie ausgestorben wirkte. Jardin du Luxembourg: Ende.

Beeindruckt von dem schnellen Szenenwechsel überquerte ich die Straße und lief durch ein erstaunlich leeres Monnaie. Manchmal stand jemand an eine Mauer gelehnt da und rauchte, in den Bäckereien saßen vereinzelt Herren mittleren Alters und tranken Kaffee, abgesehen davon war kaum eine Menschenseele zu entdecken. Sehr ruhig. Um nicht zu sagen langweilig, aber hey, Monnaie ist nicht groß und ich bin gut zu Fuß, weshalb mich meine Beinchen nur wenige Minuten später über die Pont Neuf auf die andere Seite der Seine trugen, und da war es nun wirklich nicht mehr still.

Ich arbeitete mich durch die für Großstädte so typische Mischung aus Touristen, fliegenden Händlern, Polizei und vom Trubel genervten Einheimischen bis zu Les Halles, einem Einkaufszentrum, in dem an diesem Sonntag die Geschäffte geöffnet sein sollten und es außerdem – und darauf kam es mir eigentlich an – ein Le Pain Quotidien gab, eine sichere Bank für Veganer, so viel hatte ich bereits im vergangenen Jahr in Brügge feststellen dürfen. Es war Mittagszeit.

Ich hatte auf dem Hinweg in einer kleinen Bücherei Postkarten besorgt, ließ mich an einem der leeren Tische nieder, bestellte Kaffee und ein Avocadotoast und schrieb meine Postkarten, während vor mir hinter den deckenhohen Fenstern Menschen durch die Fußgängerzone spazierten. Schön. Nette Bedienung war auch wieder am Start, sogar mit perfektem Englisch.

Dann schritten sechs Soldaten, drei mal zwei Mann, mit Schusssicherer Weste und geschulterten Waffen am Fenster vorbei. Zehn Minuten später nochmal. Dann nochmal. Immer dieselben. Offenbar zogen die hier ihre Runden an diesem friedlichen Sonntagnachmittag, und ich muss sagen, das beschert einem doch ein mulmiges Gefühl im Bauch.

Ich bin ja grundsätzlich der Überzeugung, dass Angst vor Terroranschlägen irrational und unnötig ist und man – statistisch gesehen – erstmal das Teilnehmen am Straßen-, Schienen- und Luftverkehr sowie jegliche Arztbesuche einstellen müsste, bevor man sich Gedanken darüber macht, wie man der Gefahr von Terroristen entgeht. Trotzdem war mir eben komisch zumute, in Paris, an einem Sonntag, in einem vollen Café in einer vollen Innenstadt. Wäre das Militär nicht dagewesen, wäre mir dieser Gedanke allerdings vermutlich gar nicht erst gekommen. Also widmete ich ich einfach weiter dienstbeflissen meinen Postkarten und meinem Kaffee. Man muss eben Prioritäten setzen im Leben.

Eineinhalb Stunden später waren die Postgrüße fertiggestellt und der Kaffee lange ausgetrunken und ich machte mich auf den Weg, mir weiter die Stadt zu erlaufen. Bei schönem Wetter kann man mir ja kaum einen größeren Gefallen tun, als mich einfach mit bequemen Schuhen und genug Geld für Kaffee und Mahlzeiten in eine Metropole zu entlassen. Da laufe ich dann gut und gerne 12 Kilometer weit von A nach B nach C und wieder zurück und wenn mir schwummerig wird, gibt es eine Tasse koffeeinhaltigen Heißgetränks (seht, wie elegant sie Wortwiederholungen zu vermeiden versucht) und neues aus der veganen Küche. Dann geht’s mir gut.

So kam es, dass ich eine oder zwei Stunden später in der Brasserie 2eme Art saß, vor mir – äh – gut, sag ich’s halt: Kaffee und zwei Kugeln veganes Eis mit veganer Schlagsahne. Höhö. In der Brasserie 2eme Art ist sowieso alles vegan, weshalb ich schon mal eine grundsätzliche Symathie für alle anderen Gäste sowie das Servicepersonal empfand. Ich saß an meinem Tisch auf dem Bürgersteig unter der Markiese (und einer Heizlampe – der Frühling war eben doch noch nicht ganz da) mit meinem Buch in der Hand und guter Laune. Mal nichts machen müssen und nur Menschen gucken ist doch auch war schönes.

Allerdings, so dachte ich, könnte so ein Museumsbesuch ja doch nicht schaden. Ich war zwar für 18:00 Uhr mit Inge am Centre Pompidou verabredet, aber ich hatte noch Zeit und das Musée d’Orsay lag nur etwa eine halbe Stunde Fußmarsch von mir entfernt. Also zahlte ich und machte mich auf den Weg.

In der halben Stunde, die es dauerte, das Museum zu erreichten, telefonierte ich it meiner lieben Mutter. Da werden einem die Vorzüge eines europaweit gültigen Handytarifs erst so richtig bewusst, wenn man durch Paris spaziert, um einen herum alles Französisch spricht und man lgleichzeitig mit der Mutter zu Hause auf dem Lande über des Katers eigenheiten erzählen kann.

Am Musée d’Orsay war mir die Schlange zu lang. Also, ich kann ja viel ab wenn es um’s Anstehen geht, erst recht, wenn ich alleine unterwegs bin, aber das? Nein, nein, nein. Ich kam am Eingang an, und konnte, nachdem ich mich einmal um 360° um die eigene Achse gedreht hatte, das Ende der Schlange partout nicht finden. Es schien auch nicht so recht voranzugehen, und aus allen Ecken strömten immer neue Touristen mit Selfiesticks und Regenjacken aus babyblau glänzendem Gummi. Nicht mein Ding, ich verschwand.

Und war fünf Minuten später – zack – schon wieder alleine auf der Straße unterwegs. Verrückt, ich sag’s euch!

Wieder wanderte ich durch verlassene Kopfsteinpflasterstraßen, außer mir nur ab und an ein Motorroller in Sicht. Dabei war ich nur zwei Quertraßen vom Museumschaos entfernt! Sich einfach mal nicht in den Ballungszentren aufhalten. Kann ich nur empfehlen. Da kann man dann auf der Bodsteinkante sitzen und ein Stück vom frisch gekauften Baguette knabbern und sich heiter des schönen Lebens freuen.

Nun hatte ich leider noch immer etwas Zeit totzuschlagen und entschied mich dafür dazu, mich ans Seineufer zu setzen und mein Buch endlich auszulesen. Wenn diese Stadt schon so verdammt malerisch romantisch sein musste, tat ich wohl gut daran, mich einfach bestmöglich in das Gesamtbild einzufügen. Außerdem wollte ich endlich mit diesem Buch fertig werden, es waren andere in der Pipeline.

Um halb sechs, dreißig Minuten zu früh, stand ich vor’m Centre Pompidou – an. Ich stand an. An einer Schlange. Einer langen, langen Schlange aus Menschen. Bis Inge dann um sechs kam. So lange stand ich da. An. In einer Schlange. Vorm Cenre Pompidou. Wartend. Stand ich da.

Okay.

Ich glaube, es ist angekommen.

Dank meiner wartenden Vorarbeit musste Inge bei ihrer Ankunft nurnoch unter dem Absperrband durchschlüpfen und drei  Minuten später hatten wir beide die Sicherheitskontrolle hinter uns gelassen und standen am Ticketschalter. Die Fotoausstellung von Walker Evans war unser eigentliches Ziel, und wir dachten, wir hätten die schlimmste Schlange schon hinter uns gelassen – da teilte uns die freundliche Frau am Schalter mit, dass wir nochmal mit mindestens (!) einer Stunde Wartezeit vor den Ausstellungsräumen warten müssten. Nein, das wollten wir nicht. Das tat der Frau Leid, uns auch, doch es half nichts, das wollten wir nicht. Inge gab spontan die Tickets für die Aussichts- äh -Plattform? Na ja, den Aussichtspunkt aus. Die Gute. Wenigstens einen letzten Blick über die Stadt wollten wir uns an unserem letzten Abend nicht entgehen lassen.

Als wir im obersten Stockwerk angekommen waren, ging draußen plötzlich die Welt unter. Aber so richtig. Sturm, Regen, Sturm. Plötzlich war auch die Schlange vor dem Museum verschwunden, sehr zauberhaft. Wir genossen den Ausblick trotzdem, einfach, weil Paris nunmal ein verdammtes Freilichtmuseum ist, und das unabhängig von Tageszeit, Blickwinkel oder Witterung. Versnobt, dreckig, schön. So würde ich es wohl beschreiben.

Mit dem nächsten Morgen brachen auch unsere letzten Stunden in der Stadt der Liebe an. Wir schufen Ordnung in der Wohnung, wie man das so macht als guter Gast, packten unsere sieben Sachen, ließen aber die schweren Taschen erstmal noch im Wohnungsflur stehen, denn unser Flug ging erst abends um sieben, weslhalb uns noch einige Stunden für eine letzte Erkundungstour blieben.

Wir entschieden uns für den Cimetière du Père Lachaise. Inge ist ja seither bekennender Friedhofs-Fan, und ich lasse mich von begeisterten Menschen sehr gerne mitreißen, ert recht, wenn sie ordentlich was zu erzählen haben. Und so stand ich eine halbe Stunde Metrofahrt später auf einem wunderschönen Friedhof und bewunderte die Schautafel, auf der alle berühmten Toten des Gottesackers gelistet waren. Oscar Wilde, Maria Callas, Frédéric Chopin, Édith Piaf, Marcel Proust, Jim Morrison – alle da. Oder zumindest ihre sterblichen Überreste. Oder die Überreste dessen, was einst auf ihren sterblichen Überresten platziert worden war. Ihr versteht die Idee.

Es folgte ein etwa zweistündiger Spaziergang durch einen auch landschaftlich wunderschönen Friedhof. Hier und da rätselten wir, wer der jeweils genannte Tote wohl gewesen sein könnte, weshalb welches Grab wie aussah, oder was die Angehörigen wohl mit diesem oder jenem Grabspruch gemeint haben könnten.

Als wir genug Tote gesehen hatten, fanden wir, dass wir uns solange wir noch die Chance dazu hatten die Beine vertreten sollten, schließlich standen uns noch ein Flug und voraussichtlich einige Stunden des Wartens am Gate bevor. Also schritten wir in gerader Linie zum Place de la Bastille, wo wir eigentlich geplant hatten, einen Mittagssnack zu uns zu nehmen.

Doch irgendwie stand da plötzlich eine beachtliche Anzahl an Polizisten mit Schlagstöcken, Schusswaffen, Helmen und schusssicheren Westen auf dem Platz, was uns zu dem Schluss kommen ließ, dass das baldige verlassen des Platzes doch gar keine so schlechte Idee sein dürfte. Was wir taten. Gott sei Dank.

Wieder in unserem Viertel angekommen packte Inge die Lust auf Pommes, und ein McDonald’s stillte diesen Durst. Ich war verdammt lange nicht mehr in einem McDonald’s gewesen, aß aber auch eine Portion Pommes, schließlich war die Alternative gar kein Mittag, und ihr dürftet ja alle wissen, wie ich dazu so stehe. Und als wir da so saßen und unsere Fitten mümmelten, spielte sich auf dem TV-Bildschirm vor uns ein echtes Spektakel ab – eine Liveübertragung vom soeben von uns verlassenen Place de la Bastille, auf dem Demonstranten (bedenkt: es war das Wochenende zwischen den zwei Wahlgängen in Frankreich) auf die Polizisten trafen und irgendwie aktuell auch Tränengas zum Einsatz kam.

Inge und ich nickten zufrieden. Wir hatten mal wieder die richtige Entscheidung getroffen. Und mit diesem guten Gefühl im Bauch konnten wir Paris kurze Zeit später guten Gewissens hinter uns lassen – bis zum nächsten Mal. Gott sei Dank auch dann noch ohne Reisepasskontrolle.

2 Antworten auf „Paris, Part II“

Juchhu, nun ist unsere Reise rund und wir können diese nächste planen. Klara, das wird wohl mein Besuch bei dir in Telaviv sein. Und dort dann hoffentlich wieder ins Ballett – wenn die Bashevas – Company nicht auf Tournee ist. Das hoffe ich sehr.
Tschüß Paris und danke an meine herrliche Reisebegleitung auch an die Freunde, die uns ihre Wohnung in Montparnasse ‚ geliehen ‚ haben. Sagt Inge.

Hallo Klara,
Wo bist du gerade.?
Habe schon viel über dein reges Leben gelesen, toll wie du das machst. Eine echte Lebenskünstlerin bist du.
Wann geht Israel an?
Ich hab alle Therapien geschafft. Meine Haare werden immer mehr.
Ein Dicker Drücker aus der Ferne
Lydia.

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