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Mein Sommer

Hier sind wir nun also. Die Tage werden stetig kürzer, ich trage lange Hosen und beim Fahrradfahren fangen meine Hände an zu frieren. Mein Sommer in Deutschland ist wohl wirklich vorbei, was Anlass genug ist, um kurz zu rekapitulieren, wie nach meinen letzten Semesterprüfungen alles weiter- und vor einigen Tagen dann zu Ende ging. Fangen wir also gleich damit an.

Ich hatte einen wilden Sommer. Wild im Sinne meiner, ihr erinnert euch, „alten Seele“, die sich lieber mit Lebensfragen als mit Alkoholausschänken bechäftigt.

Zum Einen habe ich die ganze Zeit über weiter gearbeitet, in einem Werkstudentenjob, der mir einen Heidenspaß bereitet. Weil ich mit netten Menschen und wenn ich mag auch von zu Hause aus am Computer arbeiten darf, weil ich selbstbestimmt bin, weil ich schreibe. Der Job hat mich den ganzen Sommer über begleitet, und das war ganz gut so. Angesichts meiner Pläne kann ich das zusätzliche Geld sehr gut gebrauchen, doch dazu später mehr.

Außerdem war ich viel mit Inge unterwegs, gerne in Museen. Highlight war da wohl das neue Museum Barberini in Potsdam, mit der Ausstellung „Von Hopper bis Rothko. Amerikas Weg in die Moderne.“. Die Amerikanischen Expressionisten sind mir ja sehr lieb, das Museum nicht umsonst ein Publikumsliebling, folglich war der Besuch grandios schön. Die anschließende Radtour war auch nicht zu verachten. Kurzum: Ein guter Tag mit Sommerregen. Der war in diesem Jahr in Berlin wahrlich nicht zu vermeiden.

 

 

 

 

 

 

Durchbrochen wurden meine Wochen von kurzen Stippvisiten in der alten Heimat. Die überwältigen mich immer wieder, jedes Mal ist alles anders und doch alles gleich. Noch immer wachsen die Brombeeren da, wo sie schon vor zehn Jahren wuchsen, nur ist meine Schwester mittlerweile größer als ich und muss mir die guten Beeren anreichen, und mein Bruder dreht mit mir hinten auf dem Moped Runden über den Hof. Wenn ich das nächste Mal nach Hause komme, fährt er mit dieser Maschine vermutlich bereits zur nächsten Party. Dabei waren kürzlich noch Holzzschwerter in. Also, gefühlt zumindest.

Tim, meinen Lieblings-Zugnomaden durte ich auch hin und wieder treffen, das war schön. Hatte ich euch von Tim bereits erzählt? Vielleicht. Ich fasse nochma kurz zusammen: Tim hat vor knapp einem Jahr seine Wohnung gegen eine BahnCard100 eingetauscht und ist seitdem ein rastloser Reisender, den das Strechennetz der Deutschen Bahn hin und wieder mal nach Berlin trägt. Da kann man mit ihm dann Kunstausstellungen besuchen oder im Park dösen oder sich Aquarellmalerei vom Regen beibringen lassen. Habe ich gemacht, war immer schön. Reisende sind ja im Allgemeinen ein erheiterndes Völkchen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein weiterer Höhepunkt war natürlich zweifelsohne die Hochzeit von Juho und Johanna. Davon habe ich ja bereits genug erzählt, doch vor allen Dingen die Tage nach der Hochzeit waren es, die mich erneut davon überzeugt haben, dass ich ein Stückchen Heimat eben immer dort haben werde. Das hat man eben davon, wenn man in ein anderes Land zieht. Man wird es nicht mehr los. Doch auch das soll mir Recht sein.

 

 

 

 

 

 

 

 

Meine allerliebste Pia durfte ich in diesem Sommer gleich zwei Mal sehen. Das war auch höchste Zeit, die tägliche Kommunikation via Voicemail und Video ist zwar immer erheiternd und ganz wunderschön, aber zusammen am Maybachufer in Berlin vegane Donuts mit Vanillepuddingfüllung essen ist noch ein bisschen ganz wunderschöner. Beim zweiten Treffen war dann auch der neue Freund von Pia nebst weiterem Freund dabei, außerdem Carmen, auch eine Freundin von Pia, die in Berlin wohnt, plus Anhang. Als diese bunte Truppe begaben wir uns auf das Lollapalooza-Festival hier in Berlin, zumindest für einen Tag. Damit erfüllten Pia und ich uns einen Lebenstraum: Einmal Mumford & Sons live sehen. Es war ein wilder Tag, so viel steht fest, Informationen über das An- und Abreisechaos sind ja in quasi alle deutschen Medien gelangt. Ich verbuche es als Abenteuer. Wie eigentlich alles, immer.

Das waren also die „Big Happenings“ der vergangenen Monate. Natürlich ist das verallgemeinert und generalisiert und nicht akkurat, quasi ein subjektives Aggregat ereignisreicher Sommerwochen. Da waren zahlreiche Arztbesuche, Botschaftstermine, Besuche bei meiner Großtante, zwei Kletternachmittage mit Nikolai und Ronja,  Chorproben mit viel Gelächter, nicht zu vergessen die Choraustritte, die daraus entstanden. Da war der Tag am See, die Tage, die ich alleine in Museen verbrachte oder an denen ich auf meiner Couch saß und Hörbücher hörte. Es war ein guter Sommer. Ein wundervoller Sommer. Doch dazu muss noch eins gesagt werden:

Es war auch ein einsamer Sommer. Der einsamste Sommer, den ich in meinem Leben je erlebt habe. Das heißt, vielleicht stimmt das gar nicht. Im vergangenen Jahr war ich ja den Sommer über in Asien unterwegs, und treue Blogleser erinnern sich vermutlich an meine „Alleine-einsam-Krise“ in den Wochen von Mitte Vietnam bis Ende Thailand. Wer weiß also, ob es sich nicht einfach um ein wiederkehrendes Phänomen handelt? Gott, ich hoffe nicht.

Wenn ich die äußeren Parameter dieser tiefsitzenden Einsamkeit mal betrachte (und ich schreibe das einfach so stumpf, weil ich finde, dass das nichts peinliches ist, und vor allem etwas, worüber man reden muss: Wir sind alle mal einsam, und zwar abgrundtief einsam, das darf man sein, und man darf es auch sagen) lässt sich doch ein Muster erkennen: Wenn ich bei schwierigen Aufgaben, vor denen ich Angst habe, immer und immer wieder auf mich allein gestellt bin. Diesen Sommer hatte ich einiges auf der Agenda, was mich emotional und körperlich einfach mitgenommen hat. Und ich hatte natürlich hier und da Unterstützung (danke Inge, danke Mama und Papa, danke Pia, danke Juho), ich hätte vermutlich mehr bekommen können, hätte ich danach gefragt. Doch da steht mir ja gerne mal mein Dickkopf im Weg. Getreu dem Kinderlied „Ich schaff das schon“ von Rolf Zuckowski, schaff ich das ganz alleine, und komm bestimmt, und komm bestimmt bald wieder auf die Beine. Folgen wir diesem lyrisch anspruchsvollen Liedtext noch ein wenig weiter, offenbart sich aber noch eine andere, schmerzhafte Wahrheit: Ich brauch dazu, ich brauch dazu vielleicht ne Menge Kraft. Wie wahr. Genau das ist es, liebe Freunde. Dieser Sommer hat mich eine Heidenkraft gekostet. Warum? Na, weil ich Nudel natürlich mal wieder tausend spannende Pläne geschmiedet habe. Und der größte davon ist in wenigen Tagen fällig: Ich ziehe nach Israel.

Ja, ich ziehe nach Israel. Nach Tel Aviv, um genau zu sein, um da für ein Semester zu studieren. Am Dienstag geht es los. Diese Entscheidung, die ich Anfang diesen Jahres getroffen habe, hat eben einen ordentlichen Rattenschwanz an Aufgaben nach sich gezogen.

Ich habe meine Wohnung untervermietet und meine Sachen eingemottet. Ich habe mein Visum besorgt, inklusive aller nötigen Unterlagen (Eintausend Zettel von eintausend verschiedenen Institutionen, in etwa). Mich für Kurse eingeschrieben (nicht ganz leicht im Ausland, das lasst euch gesagt sein). Ich habe mich beim Arzt einmal komplett durchchecken lassen, alle nötigen Medikamente besorgt. Habe einen Nachsendeauftrag ausgefüllt, mein Zeit-Abo pausiert, bei der Telekom alles auf Eis gelegt, mein Semesterticket gecancelt, einen Flug gebucht. Zwischendurch war noch eine Finnlandreise vorzubereiten (inklusive Hochzeitsgeschenk), Gäste zu bewirten, Zugtickets zu erwereben, zwei Erkältungen auszukurieren, Sport zu machen, Yoga zu betreiben (man muss ja auch mal runterkommen!) Essen zu kochen, die Wohnung zu putzen, Post zu verschicken, das Fahrrad zu reparieren bla, bla, bla. Und auch, wenn das so klingen mag, will ich mich überhaupt und gar nicht beschweren. All das war ja nötig, um die oben genannten, großartigen Augenblicke dieses Sommers erleben zu dürfen, und in wenigen Tagen für ein halbes Jahr nach Israel gehen zu können. Aber ihr sollt es eben wissen. Damit nicht irgendwann der Eindruck entsteht, was ich hier tue ist High Life in Tüten, und ich wüsste nicht, wie ernst das Leben ist, und dass es da auch Verpflichtungen gibt. Ich mache das alles, weil ich es kann. Und damit meine ich nicht nur, weil ich die Möglichkeit dazu habe, sondern weil das alles Arbeit ist, für die man, neben allem anderen, auch körperliche und emotionale Ressourcen braucht, die man bereit sein muss, aufzuwenden.

Das ist anstrengend. Wahnsinnig, wahnsinnig anstrengend. Denn wenn man nach zwölf Stunden nach Hause kommt, in denen man im Büro, dann bei einer Freundin, dann für Passfotos im Fotostudio und dann mit dem fahrbaren Untersatz noch eben beim Fahrradhändler war, der Kühlschrank leer ist und die Fußböden dreckig sind, weil man für diese Aufgaben eben nur sich selbst und der Tag nur 24 Stunden hat, dann überkommt es einen manchmal. Dann fühlt man sich einsam.

Denke ich an Asien zurück, bin ich heute stolz wie Oskar, dass ich das alles hinbekommen und einen so unvergesslichen Trip daraus gemacht habe. Das sage ich einfach mal so schutzlos. Ja, ich bin stolz. Und das tolle ist: Ich kann mir heute schon sicher sein, dass ich in einigen Wochen irgendwo in Israel auf Landschaften blicken werde, die ich noch nie zuvor gesehen habe, zusammen mit Menschen, deren Gesichter ich mir heute noch nicht vorstellen kann, und denken werde: „Scheiße Mann, das war’s wert.“

Um mit Rolf Zuckowski zu schließen: Denn ich hab immerhin schon ganz was anderes geschafft.

Eine Antwort auf „Mein Sommer“

Die Hymne deiner Kindheit als Leitmotto. Genau richtig machst du das. Und im Februar kommen wir dich besuchen und staunen über alles, was du geschafft hast. Ganz alleine, wie so oft.

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