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Bat Yam: Haken dran

Vor einigen Tagen war es endlich soweit. Nach einem ausgiebigen Frühstück bestehend aus frischen, reifen Früchten (sowas muss man nutzen, wenn man Zugang dazu hat!), Tahini, ein wenig Zimt und natürlich heißem Kaffee war es an der Zeit für mich, noch einmal von Bat Yam aus quer durch Tel Aviv bis nach Herzliya zu fahren, wo meine Uni steht – und die Wohnung, für die ich nun endlich den Mietvertrag unterschreiben wollte.

Tel Aviv ist ja eine ziemlich langgezogene Stadt an der Küste Israels. Bat Yam schließt sich direkt im Süden an, und Herzliya direkt im Norden. Beide Orte sind also überhaupt nicht weit vom Tel Aviver Stadtkern entfernt, doch wenn man kein Auto hat und auf Busse angewiesen ist, die quer durch das Zentrum tingeln, dauert es von Bat Yam nach Herzliya schon mal 90 Minuten. One way, versteht sich. Also packte ich meine sieben Sachen, stellte sicher, dass mein Handy genug Akku hatte, um mich die gesamte Fahrt über mit Hörbüchern zu unterhalten, und setzte mich in einen Bus gen Norden.

Die Wohnung, die ich mir ausgesucht hatte, war eine helle, nette Vierer-WG. Ich kannte zwar keinen der Mitbewohner, doch die Vermieter waren mir bereits bei der Besichtigung außerordentlich freundlich vorgekommen, und manchmal muss man dann einfach nach dem Bauchgefühl gehen. Das hatte ich getan, und es war offenbar eine gute Entscheidung gewesen.

Als ich an der Wohnungstür klingelte, öffnete mir eine kleine Person, noch kleiner als ich, man soll es ja nicht glauben, und lächelte mich freundlich an. Das war Amandine aus Belgien, Mitbewohnerin Nummer 1. Sie war auch erst vor einigen, wenigen Tagen in die Wohnung gezogen und wollte auch am IDC (meiner Uni) Politikwissenschaft studieren – wie ich. Auf ihrem Shirt stand in großen Lettern „Yoga, Pizza and Stuff“. Sah aus, als könnte ich mich mit ihr verstehen.

Während wir da so saßen und in unser Gesprächverteift waren, klingelte irgendwann Batia, die Vermieterin. Mein Bauchgefühl hatte mich nicht enttäuscht: Sie war tatsächlich die freundlichste, besorgteste, mitfühlendste und normalste Vermieterin, die ich in meinem Leben je gehabt habe. Und das kommt von jemandem, der seit Auszug bei den Eltern über zehn Mal den Wohnort gewechselt hat. Unter Batias Arm klemmte ein neuer Mülleimer für die Küche, aus dem sie gleich noch einen schöneren Duschkopf, frische Küchenhandtücher, Topflappen, zwei Lampen und zwei Vasen zauberte. Sie „dachte, das könne uns gefallen“. Weil ich ihr bei der Besichtigung gesagt hatte, dass ich kein eigenes Bett hätte, hatte sie bereits einen alten Bettrahmen aus dem Keller ihrer Tochter organisiert und in meinem Zimmer aufgestellt. Kostete mich „natürlich gar nichts“. Was die Matratze betraf, sagte sie, die müsste ich dann bezahlen, aber sie würde mir gerne helfen, eine zu finden. Um das Ende dieser Geschichte gleich mal vorwegzunehmen: Zwei Tage später erreichte mich eine E-Mail, in der stand:

Hallo Klara!

Unser Nachbar in Tel Aviv hatte noch eine Matratze übrig, die er nicht mehr brauchte. Mein Mann hat die gleich in die Wohnung gefahren und auf dein Bett gelegt. Sie ist zwar gebraucht, sieht aber super aus! Deshalb brauchst du aber auch nichts bezahlen.

Ich möchte hier nochmal betonen, dass ich ursprnglich ein unmöbliertes Zimmer mit Einbauschrank gemietet habe. Die ist eben einfach nett.

Nachdem ich den Vertrag unterzeichnet hatte, wollte Batia wissen, wann ich denn umziehen würde. „Freitag, nach dem Feiertag.“ war meine Atnwort.

„Und wie kommst du dann her?“

„Mit dem Bus aus Bat Yam.“

„Wie wäre es dann, wenn du einfach den Bus 25 zu dieser und jener Bushaltestelle in Tel Aviv nimmst, ich dich dort abhole und wir gemeinsam hier her fahren? Dann brauchst du nicht dein ganzes Zeug durch die öffentlichen Verkehrsmittel schleppen, und ich kann dir helfen.“

Joa, ne? Was sagt man da? Ich entschied mich für: „Was? Äh, einfach so? Ja, also, äh, super, super gerne, vielen Dank!!“

Spätestens da stand wohl fest, dass ich mit meiner Wohnungsentscheidung irgendwas richtig gemacht hatte.

Als alles geklärt war, hüpfte ich frisch und fröhlich aus der Wohnungstür und zurück auf die sonnenbeschienenen Straßen von Herzliya. Bei Aroma, der hier am weitesten verbreiteten Cafékette, besorgte ich ein Avocadotoast und einen israelischen Salat (Zwiebeln, Gurken, Kirschtomaten, Petersilie, Dressing), trug das ganze zur Bushaltestelle und setzte mich in das nächste Gefährt gen Tel Aviv. Das war mal gut gelaufen. Wohnung: Check.

Obwohl ich an diesem Tage ja wirklich nicht allzu viel weltbewegendes geleistet hatte, war ich bei meiner Ankunft in Bat Yam irgendwie fix und alle. So drei Stunden Busfahrt schlauchen doch irgendwie, wie ich feststellen musste, außerdem war ich in den 24 Stunden vor Vertragsunterzeichnung so aufgeregt und angespannt gewesen, dass mir einfach ein großer Stein vom Herzen gefallen war.

Ich freute mich auf eine leere Wohnung, denn Carmi würde noch bis sieben Uhr beim Sport sein, und so ein bisschen Sturmfrei ist ja immer ganz nett. Müde und glücklich stand ich vor der Wohnungstür, schloss auf und – kam nicht rein. Mir schwante Böses: Es gab einen Sicherheitsschlüssel für die Wohnungstür, den ich nicht hatte, Carmi aber schon…

Zwei Minuten später hatte ich Carmi am Telefon.

„Hallo Carmi, hier ist Klara! Ich stehe vor der Wohnung… sag mal… hast du abgeschlossen?“

Stille.

„Jaaaaaaa.“

Stille.

„…das hab ich wohl gemacht…“

Stille.

„…und meine Nachbarin, die den Schlüssel hat, ist ja auch nicht da…“

Stille.

„Also, ich beginne jetzt meine Sportstunde um bin um sieben zurück. Du weißt ja, wo der Park ist… das tut mir jetzt wirklich Leid, aber ich kann leider nicht viel mehr machen gerade.“

Da war es halb sechs.

Ich war müde, ich war hungrig. Ich wollte nicht enttäuscht sein. Also entschied ich mich dazu, nicht enttäuscht zu sein. Mittlerweile habe ich da einen ganz soliden Einfluss drauf, was gerade in solchen Situationen unheimlich hilfreich ist. Ich schulterte also erneut meinen Rucksack und trottete los zum nächsten Café. Ja, es war halb sechs Uhr abends, aber Kaffee ist nunmal gut für die Seele. Also bestellte ich einen Sojacappuchino und ein veganes Stückchen Kuchen (hatte ich erwähnt, dass vegan sein hier wirklich die leichteste Übung der Welt ist?), besetzte einen Tisch auf dem Bordstein und sah den vorbeifahrenden Autos zu. In diesem Moment rief mein Papa an. Wir klärten die letzten, technischen Feinheiten meiner Mietzahlungen, gaben uns ein kurzes Update zur aktuellen Lebenssituation und freuten uns beide, einfach mal wieder voneinander zu hören. So schön Israel auch ist, Kaffee mit Mama und Papa ist auch was feines, und das war der beste Ersatz, der gerade möglich war.

Um kurz nach sechs wanderte ich weiter. Ich würde am Ende dieser Straße irgendwann das Meer sehen und wollte dann am Strand hoch zurück zur Wohnung laufen, bis ich da ankommen würde sollte es etwa sieben Uhr sein. Ich lief und lief, hörte Musik, kam ans Meer, lief eine Weile barfuß durch die Wellen, setzte mich irgendwann auf einen Stein und sah zu, wie die Sonne im Meer unterging. Das tut sie hier um etwa 18:30 Uhr.

Der Himmel war wolkenbehangen. Das machte den Sonnenuntergang doppelt schön, besonders dramatisch. Der Strand war ziemlich leer, vor mir klapperten leere Muscheln in der Brandung hin und her. Und irgendwie musste ich mal weinen. Hatte ich länger nicht getan, und manchmal (in meinem Falle komischer Weise immer dann, wenn ich am Wasser sitze, da tut es auch ein dreckiger, thailändischer Bach) muss man eben mal weinen. Also weinte ich ein wenig. War ganz gut so. Ich war erleichtert und besorgt, hatte eine komische Mischung aus Vorfreude und Heimweh im Bauch, und fand meine Aussicht doch wirklich schön.

Dann wurde es plötzlich richtig kitschig: Es fing an zu regnen.

Erst nur ein bisschen. „Ist in Ordnung“ dachte ich, „sogar eher angenehm kühl.“ Fünf Minuten später sah die Sache schon anders aus. Hier in Israel regnet es nie lange, dafür heftig. Am Strand gab es natürlich keine Möglichkeit, um sich unterzustellen, einen Regenschirm hatte ich nicht dabei (schließlich war das hier Israel) also schlich ich weiter am Meer entlang und wurde nass. Und zwar so richtig, richtig nass. Bis auf die Unterwäsche. Pitsche patsche klitschnass. Das fand ich witzig, und musste lachen.

Nach zehn Minuten wurde mir dann doch ein wenig kalt, aber da war ich dann auch endlich an der Treppe angekommen, die mich wieder auf die Straße und dann zurück zu Carmis Wohnung führen würde. Es war 18:55 Uhr.

Ich tat einen Schritt auf die erste Stufe, hörte links von mir einen Mann irgendetwas hebräisches rufen, und spürte was komisches an meinem Finger.

(Witziger Satz, wenn man nicht weiß worum es geht, ne?)

Ich schaute auf meine rechte Hand. Da hatte sich ein Angelköder, so ein kleiner Gummifisch mit Haken unten dran, in meinen Zeigefinger gebohrt. Nicht tief, nicht schlimm, aber doch irgendwie spürbar hing er da und baumelte an meiner Hand. Der Mann, der etwas gerufen hatte, hatte eine Angelrute in der Hand. Aha. Es war also eine Warnung gewesen, interessant. Ich popelte das Metall aus meiner Haut und begutachtete den Schaden. Kein Blut, also kein Drama. Ob meiner magelhaften Hebräischkenntnisse grinste ich den Herrn Angler einfach freundlich an und überreichte ihm sein Eigentum. Er sah noch immer leicht besorgt aus, aber ich lächelte mein bestes „Keine Sorge, nichts passiert, es geht mir ganz gervorragend!“-Lächeln und verschwand.

Mittlerweile hatte es aufgehört zu regnen. Oben auf der Treppe angekommen zog ich mein Notizbuch und einen Stift aus meinem Rucksack und notierte:

09. Oktober 2017

Bat Yam: Haken dran!

Dann eine kurze Reflektion der vergangenen 90 Minuten: Hätte Carmi nicht abgeschlossen wäre ich nicht noch einmal spazieren gegangen. Hätte nicht den schönsten aller Sonnenuntergänge gesehen, hätte nicht klitschnass und fröhlich am Mittelmeerstrand abgehangen, hätte nicht geweint, hätte keinen Angelköder in meiner rechten Hand gefunden. Hätte einen ziemlich durchschnittlichen Abend zu Hause verlebt. Da kann man ja nur dankbar dafür sein, dass ich den Sicherheitsschlüssel nicht in der Tasche hatte.

Maktub.

 

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