Kategorien
Israel

Herzliya: Ein Pömpel und zwei Grabkerzen.

Ein fröhliches Shalom aus dem immernoch sommerlich warmen Israel! Wie ich feststellen durfte reichen 26 Grad und blauer Himmel aus, um Israelis leicht fröstelnd in wohlige Herbststimmung zu versetzen. Da werden brühend heiße Pumkin Spice Lattes getrunken und Duftkerzen angezündet und buntes Plastiklaub in der Wohnung verteilt, während ich noch immer verzweifelt versuche, auf den 400 Metern Fußweg zum Supermarkt nicht multiple maligne Melanome zu entwickeln.

Heute morgen begann ich mit einer großen Tasse Kaffee, der ist temperaturunabhängig genießbar, und drei Stunden Arbeit am Laptop. Ich arbeite ja weiter fleißig in meinem Studentenjob in Berlin, und da muss man auch in Israel was tun. Leider neigt die liebe Amandine, so nett sie auch ist, dazu, wenn man sich mit ihr in einem Raum aufhält viele, viele aneinandergereihte Sätze mit wenig Sinn und vielen Worten zu füllen. Deshalb nutzte ich die frühen Morgenstunden, in denen die Sonne noch nicht ganz so sengte und Amandine noch schlief. Adach war bereits ins Büro verschwunden, für den war ja heute Montag.

Als Amandine dann wach war war meine Arbeit zwar nicht erledigt, aber leider waren auch die geeigneten Arbeitsbedingungen verschwunden. Seit heute steht fest: Ich brauche wohl einen Schreibtisch, wenigstens einen kleinen, der in mein Zimmer neben meine kurvige Matratze passt. Damit ich mal eine Tür zu machen kann, wenn ich in Ruhe arbeiten möchte.

Nach dem Mittag, einem sehr spartanischen Mahl aus Vollkornreis, Tomaten, Zwiebeln, Paprika und Erbsen aus der Dose, machten Amandine und ich uns auf den Weg in die Stadt. Sonntag ist hier nunmal das Äquivalent zu Montag und damit konnten wir uns endlich mit mehr Lebensmitteln und einigen anderen praktischen und dringend benötigten Utensilien eindecken. Nachdem ich ja nun bereits in den verschiedensten Konstellationen mit Menschen zusammenwohnen durfte, hier nun von mir für euch das todsichere Rezept zum schnell zu Hause fühlen. Ihr braucht_

  1. Kerzen
  2. Eine schöne, große Schale für euer Essen, und zwar nur euer Essen
  3. Eine schöne, große Tasse für Kaffee (denn nichts nervt mehr, als drei Schluck Kaffee aus einem dieser mit Werbung bedruckten Betonbecher zu trinken, die irgendein Chinese irgendwann mal aus einem soliden Stück Bunkerwand geklöppelt hat)
  4. Feuchte Tücher zum Staubwischen
  5. Haferflocken
  6. Klebehaken für die Tür

TOD-sicheres Rezept, ich sag es euch!

Nach zwei Stunden hatte ich diese Liste nebst einiger weiterer Kleinigkeiten abgearbeitet (aus unerfindlichen Gründen hatte ich zwei Nagelscheren und keine Pinzette aus Deutschland mitgebracht, das sind so Dinge, die einem immer erst sehr spät auffallen, einen dann aber schnell die eigene Intelligenz infrage stellen lassen) und schleppte zusammen mit Amandine (das Band lief unentwegt weiter) sieben Tüten Einkauf nach Hause. Da war einiges dabei, was nicht so viel Spaß macht, wenn man es tragen muss, fünf Liter Flüssigwaschmittel zum Beispiel. Doch Gottseidank ist ja in diesem wunderbaren Land schon kühler Herbst, sodass man nicht im Schatten der Bäume auf der Promenade öffentlich unkontrollierbare Schweißausbrüche erleiden muss. Vielleicht.

Ein weiterer, eher unschön zu tragender Gegenstand war der Rohrreiniger. So nett und reinlich Amandine nämlich ist, so ist sie auch noch ein bisschen jung und braucht ab und wann mal einen guten Tipp. Gestern gab ich ihr den Tipp, dass man Reis in einem Topf mit Wasser so lange kocht, bis er nicht mehr knackt wenn man draufbeist, und heute gab ich ihr den Tipp, dass sich täglich sechs Löffel Kaffeesatz und ein Waschbeckenabfluss gar nicht so gut vertragen. Während ich ihr das gesagt hatte, hatte ich auf den graubraunen Wasserspiegel in der Küchenspüle geblickt, der sich kein Bisschen zu bewegen schien.

Nach unserer Rückkehr aus der Stadt jedenfalls war der Wasserstand im Waschbecken deutlich niedriger, und wenige Minuten später konnte ich es wagen, eine Flasche Säure hineinzukippen und simultan zum Klempnergott zu beten.

Während wir den Klempnergott und seine Klempnerengel in Form von Ätzmittel ihre Arbeit tun ließen, vertieften Amandine und ich uns noch einmal in unsere Stundenpläne für das kommende Semester. Wie sich herausstellt, haben wir unabhängig voneinander eine fast identische Kurswahl getroffen. Eigentlich ja ganz schön, nur muss ich dann doch wirklich nochmal den Aus-Knopf an dieser jungen Dame finden.

Nach etwas über einer Stunde half ich beim Küchenpatienten mal mit ein wenig kochendem Wasser nach. Und, was soll ich sagen: Der Klempnergott hatte mich verlassen. Oder war gar nicht erst da gewesen. Jedenfalls blubberte auch dieses Wasser im Spülbecken herum, anstatt sich wie gewünscht mit niedlichem Strudel ins Trinkwassernirvana zu verabschieden.

Das war zu viel.

Amandine machte den Vorschlag, dass wir uns doch morgen darum kümmern könnten. Ich blickte auf den Stapel dreckigen Geschirrs, der auf seinen Abwasch wartete. Nein, nein und nochmals: Nein. Ich habe ja einige Stärken, eine davon ist Ordnung und Organisation. Die kommt leider mit der Schwäche daher, dass eine solche Abflusssituation einen ausschließlich negativen Effekt auf mein Seelenleben, meine Laune und meine Schlafqualität hat. Also ließ ich Amandine da zurück, wo sie war (auf dem Sofa) und bewegte mich nochmal gen Supermarkt. Außerdem hatte ich die Kerzen vergessen, die auf der Liste gestanden hatten.

Ich war wild entschlossen, dieses Problem zu lösen, und zwar jetzt.

Mit wirschem, leicht mansischem Blick trat ich forschen Schrittes in den Supermarkt und peilte das Putzmittelregal an. Pömpel, zwei Flaschen Rohrreiniger. Dann das Backzutatenregal: Backpulver, für alle Fälle. Mit diesen Dingen unter dem Arm (für einen Einkaufskorb war keine Zeit gewesen) griff ich im Vorbeigehen quasi blind ins Kerzenregal und schmiss in einer einzigen, flüssigen Bewegung meinen Einkauf aufs Kassenband. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade die Zutaten für den Bau einer Bombe gekauft. War ja auch fast so.

Die Kassiererin sah das irgendwie anders. Ihr war die Dringlichkeit meines Anliegens offenbar nicht bewusst, auch, wenn man sich bei Backpulver, zwei Flaschen Rohrreiniger, einem Pömpel und zwei Grabeskerzen ja wohl denken kann, dass der Kunde eventuell ernstzunehmende Probleme hat.

Nein, die Frau Kassiererin kaute Kaugummi, hatte ihr Knie gegen das Kassenband gelehnt und sprach auf Vietnamesisch mit jemandem in ihrem Headset, während sie gemütlich die Waren drehte und wendete, ihrer Kollegin etwas zurief, dem Menschen am anderen Ende der Telefons mitteilte, dass sie ihn nicht so richtig verstanden hatte („Hä?!“ ist ein weltweit gültiger Ausdruck). Ich hatte derweil Mühe, nicht hyperventilierend auf den gefliesten Supermarktboden zu schlagen.

Zehn Minuten später raste ich durch grasende Tauben (nein, Moment, Tauben grasen nich. Was machen die, wenn die so in Gangs auf der Straße rumhängen? Picken? Ja, genau, die picken! Sie picken in Scharen!)

Also: Zehn Minuten später raste ich durch in Scharen pickende Tauben, die aufgeregt in alle Himmelsrichtungen davonflogen und Platz für mich, meinen wilden Blick und meinen Pömpel machten.

Zu Hause angekommen sagte ich nicht mal Hallo, schmiss alles von mir, positionierte mich in sicherem Stand vor der Küchenspüle und pömpelte los. Pömpelte und Pömpelte, bis das Wasser, was sich noch immer im Becken befand, endlich mit einem ekelig würgig-gurgeligen Geräusch verabschiedete. So mussten sich Sieger fühlen.

Ich war gerade dabei, zur Sicherheit noch eine Flasche Rohrreiniger hinterherzuschicken, als Amandine hinter mir in der Tür stand.

„Hat’s geklappt?“

„Sieht so aus.“ antwortete ich zufrieden.

„Super! Denn wenn nicht, weißt du, dann hätte ich auch nicht mehr gewusst, was wir hätten machen sollen! Ich meine, man hätte ja morgen, also, vielleicht nochmal was machen können. Ich nehme ja immer Essig. Vielleicht – warum hast du es denn eigentlich nicht mit Essig versucht? Hehe, ich meine, nein, also so ein Pömpel, das war ja auch mein erster Gedanke gewesen. Ich dachte so: ‚Ja! Pömpel!‘ und dann dachte ich aber so: ‚Wo sollen wir den herkriegen??‘ und dann dachte ich so ‚Ach, na ja‘. Ich meine, wir hätten es ja auch morgen machen können, weißt du? Also, man hätte ja morgen nochmal losgehen können und DANN nochmal Rohrreiniger besorgen…“

Das war genug.

„Hier.“

Ich streckte ihr den Pömpel entgegen, und sie legte eine kurze Pause ein.

„Wenn’s nicht abläuft, pömpeln.“

Mit diesen Worten verließ ich die Küche. Zufrieden, entspannt, stolz. Ein kleines Bisschen entnervt vielleicht. Aber wenigstens haben wir ab heue einen Pömpel.

Und jetzt sitze ich hier. Auf meinem Bett mit der kurvigen Matratze, im flackernden Licht zweier Grabkerzen, und frage mich, wen das eigentlich interessiert, was ich hier so tippe. Ist aber eigentlich gar nicht so wichtig. Denn wenn sich keiner findet, dann weiß ich zumindest, dass mein fünfundzwanzigjähriges ich sich in zwei Jahren darüber freuen wird, dass ich diesen kleinen Erfolg im Leben schriftlich festgehalten habe.

Eine Antwort auf „Herzliya: Ein Pömpel und zwei Grabkerzen.“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert