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Herzliya: Mir geht es hier gut.

Freunde, ich bin verliebt. In die Uni, meine Mitbewohner, dieses Land. Vor allem aber bin ich verliebt in mein Leben hier. In der vergangenen Woche überkam mich hin und wieder ein Gefühl uneingeschränkter Freude und Freiheit. Ihr erinnert euch vielleicht, dieses Gefühl, welches man als Kind hatte, wenn man nach dem letzten Schultag vor den Sommerferien mit seinem Zeugnis in der Tasche vom Schulhof geschritten ist. Einem lag die Welt zu Füßen. Und das Gefühl habe ich hier auch.

Vergangenen Samstag, am letzten freien Abend vor Vorlesungsbeginn, fanden meine Mitbewohner, allen voran mein Liebling Adar, dass wir doch noch etwas zur Feier meines Geburtstages unternehmen müssten. Und ich fand etwas, was wirklich ganz nach meinem Geschmack war: Das Pancake House.

Nur etwa zehn Autominuten von unserer Wohnung entfernt liegt dieses Glanzstück. Es ist laut, es ist bunt, es ist eindeutig amerikanisch, und es gibt genauso eindeutig amerikanische Pancakes in allen Variationen. Mit Apfel, mit dunkler Schokolade, Sahne und Eiscreme, ertränkt in Ahornsirup, für herzhafte Gaumen mit Guacamole oder Spiegelei. Aber vor allem gibt es eine riesige vegane Auswahl. Grund genug, diesem Etablissement mal einen Besuch abzustatten.

Also ratterten wir in Adars furchtbar altem, kleinen Auto durch Herzliyas Innenstdt bis zum Pancakehouse. Ich, die mit den kürzesten Beinen hier, durfte vorne sitzen (Geburtstagskind!), musste aufgrund des Zustandes unseres Vehikels jedoch Angst haben, dass bei der nächsten Bodenwelle die Beifahrertür flöten gehen wird. Außerdem hatte Adar vor Abfahrt 1.5 Liter Wasser irgendwo in die Motorhaube gekippt. „Gidi ist immer so durstig.“ war die Erklärung dafür gewesen. Gut, solange Gidi auf dem Highway nicht beschloss, alle vier Reifen gleichzeitig abzuwerfen weil „Gidi gerade in der Mauser“ ist, sollte mir das Recht sein.

Im Pancakehouse angekommen aßen wir Hummus und Tahini, Pitabrot und Pommes, Mike gönnte sich Shakshouka und zum Nachtisch gab es Pancakes für alle. Wir redeten und lachten und unterhielten uns über Gott und die Welt, und als mein veganer Pancake gebracht wurde, hatte der Kellner in der anderen Hand einen riesigen Eisbecher, in dem drei Wunderkerzen steckten, und meine lieben Mitbewohner begannen „Happy Birthday“ zu singen. Das bringt die besungene Person ja bekanntlich immer in eine sehr unangenehm-peinliche Situation, ich freute mich trotzdem.

„Wann hast du das bestellt?“ fragte ich Adar.

„Na, als ich dir deinen Pfannkuchen bestellt habe.“

„Aber ich sitze doch hier?“

„Aber du sprichst doch kein Hebräisch?“

Punkt für Adar.

Als die Rechnung kam, durfte ich nichts bezahlen. Und auf dem Heimweg wieder vorne sitzen. „Hätte schlimmer kommen können mit der WG.“ dachte ich, als ich mit kugelrundem Bäuchlein in meinem Bettchen mit der kurvigen Matratze ins Land der Träume entschwand.

Am Sonntag starteten die Vorlesungen. Was soll ich sagen: Ich bin absolut und total begeistert von der Uni. Herausragend modern, alles funktioniert. Spannende Vorlesungen, Professoren mit ausnahmslos beeindruckender Vita, ein Campus wie aus dem Bilderbuch, so mit Sitzsäcken auf dem Rasen und so, und vor allem Kaffee an jeder Ecke. Die Gebäude zeitgenössisch mit riesigen Glasfronten, gepolsterte Stühle für alle, interessante Leute um mich herum und Veranstaltungen, die mich  mir die Frage stellen lassen, weshalb genau ich eigentlich nicht Politik studiert habe.

Ich liste hier mal kurz meine Vorlesungen auf. Durch die Namen bekommt man doch schon einen ganz soliden Eindruck davon, was ich hier den ganzen Tag so mache. Das findet natürlich alles auf Englisch statt, aber ich übersetze euch die Titel mal auf Deutsch. Also:

„Der Arabisch-Israelische Konflikt und Friedensprozess“ – „Globalisierung und internationale, politische Ökonomie“ (mein Favorit bis jetzt) – „Ethnische Konflikte und Bürgerkriege“ – „Theorien zu Terrorismus und Guerilla“ – „Einführung in internationale Politk“ – „Nationalismus, Faschismus, Populismus“ – „Die Geschichte der modernen Ära und des Zionismus“ und natürlich Hebräisch. Die letzten beiden Klassen hatte ich noch nicht, aber gebt mir noch 48h, dann kann ich auch dazu was sagen.

Es ist der Wahnsinn. Jeden Tag sitze ich im Unterricht und habe Aha-Momente, in denen ich denke, dass ich wieder ein Stück der Weltordnung verstanden habe. Das liegt weniger an den Vorlesungen selbst, als daran, dass man von jeder Reise, aus jedem Studium, jedem Buch, jedem Zeitungsartikel, jeder Erfahrung ja immer auch ein paar Fragezeichen mitbringt. Und die fügen sich hier im Minutentakt zusammen. Der Studiumsinhalt hier ist quasi der Kitt, der aus den vielen Scherben, die ich so im Gepäck habe, ein immer kohärenteres Weltbild baut. Ich weiß natürlich, dass ich nicht von hier nach Hause fahren und die Welt verstaden haben werde, dass dieses Zusammenkeistern von Wissensbruchstücken ein unendlicher Prozess im Leben ist. Sammeln, Kleistern, Sammeln, Kleistern. Aber das macht eben Spaß, und ich bin wieder voll dabei.

Die Profs hier haben einfach Ahnung von dem, was sie erzählen. „Damals, als ich, bevor er ermordet wurde, vier Jahre lang als Spezialassistent der Premiers die Friedensverhandlungen mit Syrien führte…“ oder „Als ich kürzlich die Gelegenheit hatte, mit dem Staatspräsidenten von Uruguay einen Kaffee zu trinken…“ sagen sie, und erzählen dann Anekdoten, die so vollgepackt sind mit interessanten Ansichten, dass ich mit dem Schreiben kaum hinterherkomme. Das Notizbuch-Modell, das in Berlin ein Semester lang gereicht hat, ist bereits halb voll. Und die erste Woche ist noch nicht vorbei. Was sagt uns das?

Gut. Dass diese Uni nun das beste ist, was ich in meinem Studium bis jetzt erlebt habe, liegt eventuell auch daran, dass Vollzeitstudenten hier fröhlich 10.000 € Studiengebühren bezahlen. Da kann man einiges organisieren als Uni. Ich privilegierte kleine Europäerin zahle natürlich mal wieder keinen Pfennig für mein Semester hier. Ich bin mir dessen aber durchaus Bewusst, und genieße es sehr, lerne sehr fleißig. Ich finde, das ist das Mindeste, was ich dafür tun kann.

Am Montag, in der Vorlesung zu Theorien zu Terrorismus und Guerilla, bekam ich übrigens den Schock meines Lebens. Ich saß da im Auditorium, ahnte nichts böses. Da geht zehn Minuten nach Vorlesungsbeginn die Tür auf und herein kommt: Ein junger Herr mit Maschinengewehr.

Also, ich weiß ja nicht, wie es bei euch so aussieht, aber mir bereitet das als Deutsche doch eher Unbehagen. Um nicht zu sagen: Ich hatte binnen 1.34 Sekunden einen Adrenalinpegel im Blut, der meine Post-Bungeejump-Werte sicher hätte alt aussehen lassen. Den hatte ich auch dann noch, als der Professor dem jungen Mann entspannt entgegennickte und sich der bewaffnete Herr in die Stuhlreihen setzte. Das war ein Student, der gerade vom Militär kam. Nichts Besonderes hier. Da war ich dann froh, dass ich mich nicht wie anfänglich geplant mittels eines beherzten Hechtsprungs unter den Massivholztisch vor mir geschmissen hatte. Aber ich war die nächsten 20 Minuten erstmal hellwach, versprochen.

Abgesehen von der Uni wächst mir meine WG doch langsam sehr ans Herz, allen voran Adar. Ja, einige reden zu viel, und einige andere täten gut daran, mal in häufigeren Intervallen als alle sechs Tage ihr Geschirr abzuspülen (welches ja irgendwie auch mein Geschirr ist, ihr versteht das Problem), aber alles in allem bin ich ziemlich happy mit der Situation. Manchmal, wenn Adar spät abends nach Hause kommt und ich ihn höre, schleiche ich mich aus meinem Zimmer, in dem ich eigentlich schon lange schlafen wollte. Dann machen wir uns Tee, ich rolle mich auf dem Sofa ein, während Adar am offenen Panoramafenster raucht, und wir reden über Gott und die Welt, sein Leben, seine Sorgen, mein Leben, meine Sorgen, den Nahostkonflikt, israelische Innenpolitik, jüdische Geschichte, deutsche Gepflogenheiten und christliche Bräuche.

„Willst du nicht vielleicht länger als nur bis März bleiben?“

sagt er dann, und ich weiß nicht, was ich antworten soll.

Da ich nachts immer mein Handy ausschalte, ist Adar auch derjenige, der mich morgens weckt, bevor er zur Arbeit muss. Um sieben steht er neben meinem Bett und spricht in herrlich hebräischem Akzent. „Guten Morrrrrgen mein Liebling!“ und ich sage dann: „Boker tov!“, schwinge mich aus dem Bett und trinke noch einen Kaffee mit ihm, bevor er sich ins Büro verabschiedet. Das sind Routinen, an die ich mich gewöhnen könnte.

Den Studentenpartys in lauten Clubs entziehe ich mich bis jetzt erfolgreich, und habe nicht das Gefühl, dabei irgendwas zu verpassen. Lieber sitze ich abends mit zwei, drei anderen Menschen in einer Bar bei einem Malzbier, oder in meiner Wohnung bei einem Tee, oder mache Yoga und schlafe um halb 10. Ja, ich weiß, das klingt, als sei ich funfündvierzig. Aber ich glaube, ich bin schon funfündvierzig, seit ich drei war, und jetzt nur endlich alt genug, um das auch mal zuzugeben und mich nicht mehr dazu zu zwingen, an irgendwelchen Aktivitäten teilzunehmen, auf die ich keinen Bock habe. Das Land will ich mir natürlich trotzdem angucken. Langsam formt sich eine Gruppe, mit der ich gerne mal vor Sonnenaufgang nach Masada wandern, nach Herzliya fahren, die Golanhöhen sehen will. Abenteuer in the making, sozusagen, ich halte euch auf dem Laufenden.

Jetzt muss ich aber erstmal meinen Haferbrei kochen und noch ein bisschen was für die Uni lesen. Zu lesen gibt es hier wirklich viel, aber ich genieße das so sehr. Ich lerne so viel. Ich bin hier so gerne. Und ich grüße ganz herzlich. Mir geht es hier gut.

5 Antworten auf „Herzliya: Mir geht es hier gut.“

Ach Klärchen, das war wieder so schön, dass ich nur und gern ein Rührungstränchen nach Israel tropfe. Im Übrigen bin ich 45. Herzlich Willkommen also.

Ach Tante Clödi,
vielen, vielen Dank! Ich freu mich, dass du wieder mit von der Partie bist und grüße herzlichst aus den gelobten Landen :*

Es freut mich riesig, zu hören, dass es dir so gut geht!!
Wer weiß, vielleicht bleibst du ja wirklich noch etwas länger da?
Ich wünsche dir jejedenfalls, dass es so bleibt. Bald beantrage ich meinen Reisepass und dann kann ich mir auch demnächst mal ein Bild von deinem Lenen dort machen 🙂 liebste Grüße aus Hannover!

Feeeeli meine Liebste!

Ich kann es kaum erwarten, dir hier alles zu Zeigen, echt! Ich hoffe, dass bei dir auch alles im Lot ist – ich hab dich lieb ❤

Ich bin wie immer begeistert von deinen Schilderungen der Erlebnisse. Wir können so deinen Lebensweg hervorragend miterleben und sind ganz stolz auf dich. Viele liebe Grüße senden dir deine Jatznicker !

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