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Golan: Und da hinten ist der Krieg.

Wie bereits im letzten Blogpost erwähnt, ging es am vergangenen Wochenende für mich zusammen mit einigen anderen Austauschstudenten auf einen Wandertrip nach Nordisrael, um genau zu sein: In die Golanhöhen, das Grenzgebiet zu Syrien.

Als es am Freitag losging, waren wir acht Mann: Sechs Deutsche (inklusive mir) und zwei Litauer, Adomas und Rusne. Der Anteil an Deutschen war zwar etwas unglücklich, doch offensichtlich werden bei dem Satz: „Hey, wer hat Bock am Wochenende mal in den Bergen wandern zu gehen?“ nur Deutsche richtig wach. Unsere Gruppenzusammensetzung waren also quasi kulturelle Unterschiede zum Anfassen.

Geplant war die Fahrt mit zwei Mietwagen gewesen. Einen bekamen wir problemlos, den anderen wollte Sixt leider nicht rausrücken, denn wir waren zu arm. Was soll ich sagen, wenn ich Autos vermieten würde, wäre eine Horde junger Studenten jetzt auch nicht mein Lieblingskunde, aber Geld ist Geld, und irgendwie wollten wir schon ganz gerne alle acht Mann mitkriegen.

Da Austauschstudenten Grundsätzlich aber abenteuerlustige und vor allem lösungsorientierte Kreaturen sind (wer freiwillig sechs Monate in Israel wohnt hat höchstwahrscheinlich schon andere Herausforderungen im Leben gemeistert) fuhren die Jungs die 24h-Autovermietung am Flughafen an (nur etwas über eine Stunde von unserem Abfahrtsort gelegen) während ich alle Hinterbliebenen in meine Wohnung einlud, wo wir einen USB-Stick mit Musik von meiner alten externen Festplatte bespielten. Arbeitsteilung vom Feinsten.

Anstatt um 12:30 Uhr ging es dann um 15:45 Uhr endlich los gen Norden. Ich teilte das Auto mit Adomas, unserem Fahrer, Johannes aus München und Rusne, die dürfte euch ja bereits ein Begriff sein. Echtes Highlight auf der Fahrt sollte tatsächlich der USB-Stick mit meiner Musik werden: Wer hätte geahnt, dass „Disco Pogo“ und „Drei Tage wach“ noch nach so vielen Jahren und in solcher Gesellschaft für gute Laune sorgen? Ein bisschen skurril kam mir das Ganze ja schon vor: Draußen flog eine trocken-wüstige Landschaft vorbei, die Straßenschilder waren mit Hebräisch und Arabisch beschrieben, neben mir zwei Litauer und ein Deutscher, und alle sangen die Hymne meiner Teeniejahre: „Dis-co Pogo, dingelingeling, dingelingeling, alle Atzen sing‘!“

Bei einem Pit-Stop an einer Tankstelle (wir brauchten noch ausreichens Wasser und ein Bisschen Verpflegung für den morgigen Marsch) bot sich uns ein beeindruckender Sonnenuntergang dar. Das scheint hier Gang und Gebe zu sein: Ich kann mich an nur wenige Abende erinnern, an denen die Abendsonne nicht aufregende Wolkenformationen in ein sattes und feuriges Orangerot getaucht hätte. Grud genug, ein Foto zu schießen. Auch von Rusne. „Mach mal ein dummes Foto von mir!“ – Solche Aufträge erfülle ich doch gerne.

Die Truppe aus Auto Nummer 2 trafen wir erst in der Dunkelheit wieder, und zwar in Tiberias. Tiberias ist die größte Stadt im Jordantal, liegt in Galiläa und vor allem direkt am See Genezareth. Der war natürlich zu dieser Tageszeit wenig mehr als ein schwarzes Nichts, welches sich in von Straßenlaternen überzogenen Bergen einnistete, aber allein das Wissen um seine Existenz war irgendwie cool. Sowieso war ich mal wieder schwer beeindruckt: Galiläa, See Genezareth – wieder hatten Orte aus einem alten Buch voller Geschichten ein Gesicht bekommen.

Jedenfalls war es in Tiberias an der Zeit, Abendbrot zu essen, was wir im „Little Tiberias“ dann auch gleich taten. Für mich gab es angebratenen Blumenkohl (den gibt’s hier auffällig oft), frisches, hausgemachtes Nussbrot und ein wenig Gurke und Tomate. Ein Do-it-yourself-Menü, welches mich absolut nicht enttäuschte. Wir saßen also, aßen und lachten, bis unsere Bäuche voll und unsere Augen müde waren und wir befanden, dass es an der Zeit war, die letzte Stunde Fahrt hinter uns zu bringen. Ziel war das Golan Garden Hostel in Katzrin, unsere Unterkunft für die Nacht.

Im Hostel wartete Besitzer, Chef und einziger Angestellter Alon auf uns. Alon hatte bereits in den USA und in den Niederlanden gelebt und hatte vor einigen Jahren zusammen mit seiner jetzt Ex-Freundin das Golan Garden Hostel aus dem Nichts gestampft, weil sie „eben Lust drauf hatten“. Mit seinem senfgelb gemusterten Leinenhemd mit Troddeln am Saum sah er ein bisschen aus wie ein Hare-Krishna-Jünger, war aber natürlich Jude, hätte man sich denken können. Wir zahlten alle  unsere 100 Shekel (25€ für eine Nacht inklusive Frühstück), stellten unsere kleinen Rucksäcke neben unseren Doppelstockbetten ab und versammelten uns dann draußen auf der Terasse bei Tee und Wein. Es ist November hier in Israel, das bedeutet 23 Grad am Tage und leichtes Schwitzen im direkten Sonnenlicht und lange Hosen plus dünner Jacke nach Sonnenuntergang. Kann man aushalten, so einen Winter.

Ich bat außerdem noch German zu uns, den ich in der Küche sitzend vorgefunden hatte. German („Cherman“ gesprochen) war ein nach Madrid ausgewanderter Argentinier, der gerade auf einer zweiwöchigen Rucksackreise durch Israel und Jordanien war. Alleine. Solche muss man dann immer mal mitnehmen beim Reisen. Ungeschriebenes Backpackergesetz.

In dieser Truppe jedenfalls saßen wir draußen und erzählten und Geschichten vom Reisen und vom Leben, von unseren Zielen und Wünschen, vom Leben in Litauen, in Argentinien, in Spanien, in Finnland, in Deutschland. Bis es irgendwann beinahe Mitternacht war und wir fanden, dass es an der Zeit war, in’s Bett zu gehen. Morgen sollte ein langer Tag werden.

Als ich um halb acht aufwachte stank unser Zimmer wie ein Pumakäfig. Das Fenster ließ sich irgendwie nicht öffnen, und der Koch aus dem „Little Tiberias“ hatte am Vorabend ganz offensichtlich nicht am Knoblauch gespart. Deshalb musste ich nach meinem ersten Toilettengang leider die gesamte Zimmerbesatzung etwas vorzeitig dadruch wecken, dass ich verzweifelt versuchte, mit beiden Händen das Schiebefenster zu einer Seite zu ziehen. Alles, war ich zustande bekam, war ein etwa 5 cm breiter Schlitz, durch den ich in meinem Elend meine geschundene Nase steckte. Drei tiefe Atemzüge später fühlte ich mich bereit dazu, meine sieben Sachen zusammenzusammeln, mich anzuziehen und mir in der Hostelküche einen Kaffee zu kochen, den ich wie immer mehr als nötig hatte.

In der Küche war Alon bereits dabei, Pancakes für alle zuzubereiten. Im Teig waren natürlich Eier, doch wer mich kennt, der weiß, dass ich vor Abreise alle Zutaten für einen hervorragenden Haferbrei in einer Tupperdose vermischt und die dann in meinem Reisegepäck verstaut hatte. Also gab es Pancakes für alle und Porridge für Klara, wieder in der Sonne auf der Terrasse.

Als alle satt und glücklich waren, ging es los. Erster Halt: Das Yehudia Nature Reserve. Wandern.

Wir verteilten uns also auf unsere Autos und fuhren los. Als wir kurze Zeit später an einer Kreuzung rechts abbiegen sollten, standen da plötzlich Zäune, ein Polizeiwagen und zwei Polizisten: Die Straße war gesperrt. Hier kamen wir nicht durch.

Leider war auf der Karte auch kein Umweg ersichtlich. Doch irgendwie gelang es uns, in paar hundert Meter weiter einen steinigen Pfad zu finden, auf dem wir kurzerhand die Sperrung umfuhren. Ja, richtig. Umfuhren. Das war zwar nicht unser Ziel gewesen, aber wir fanden uns wenig später auf der ausgestorbenen Straße wieder, die die Polizei an der Kreuzung so gut bewacht hatte. Uns war zwar etwas mulmig zumute, doch wie heißt es so schön: No Risk, no fun. Unser Risiko war es eben, in einem seit jahrzehnten umkämpften Landstrich unter UN-Kontrolle zwischen Israel und Syrien mit einem kleinen Mietwagen über eine gesperrte Straße zu fahren. Da war der Fun aber mal sowas von sicher.

In den Golanhöhen kommt man übrigens häufiger mal an einem Warnschild vorbei auf dem in Hebräisch, Arabisch und Englisch steht: „Vorsicht, Verbindungsstrecke für Panzer“. Das trug nun nicht gerade zu unserem Wohlbefinden bei, wir fuhren trotzdem tapfer weiter, bis wir hinter zwei ausgebrannten Autos (es wurde immer gespenstischer) den Eingang zum Yehudia Nature Reserve fanden. Wir waren ziemlich alleine da. Nur die Angestellten grinsten uns fröhlich an.

„Na? Wie seit ihr denn hier her gekommen?“

„Über die Straße.“

„ist die nicht gesperrt?“

„Doch, aber wir haben die Sperrung umfahren.“

„Na, ihr seid mir ja ein paar!“

„Äh, sag mal… warum genau ist denn die Straße da eigentlich gesperrt?“

„Fahrradrennen.“

Fahrradrennen. Ein Fahrradrennen. Natürlich. Keine kontrollierte Explosion von Mienen, keine Militärübung, kein syrischer Angriff, nein, ein Fahrradrennen. EIN FAHRRADRENNEN!!! Da mussten wir alle mal in herzliches Gelächter ausbrechen. Zum einen, weil das einfach witzig war, zum anderen, weil wir unserer Erleichterung irgendwie Ausdruck verleihen mussten.

Wir ließen uns also den Wanderweg erklären, fünf Stunden waren veranschlagt worden, zahlten 4,75€ Eintritt pro Person und machten uns auf den Weg. Die Sonne sengte von oben, 28 Grad und Wüste, wir waren unterwegs.

Die Landschaft war trocken. Gelb gewordenes Gras überzog steinige Hügel, den Horizont schmückten raue Bergketten, kleine Bäume standen hier und da pittoresk in der Gegend herum. Auffällig war auch der omnipräsente Stacheldrahrzaun, der uns an jenem Tag noch einige Male begegnen sollte. Der hat ja immer sowas latent aggressives an sich, was perfekt in die politische Lage unseres Aufenthaltsortes passte. Rusne war nach wie vor besonders nervös und vermutete nach eigener Aussage hinter jedem Rascheln im Busch (zumeist hervorgerunfen durch Wildvögel) Syrer. Das fand ich nun leicht übertrieben, zumal „Syrer“ ja doch ein sehr weit gefasster Begriff ist. Wir einigten uns darauf, dass es sich aller Wahrscheinlichkeit nach um syrische Vögel gehandelt hatte, und liefen weiter.

Nach einer Dreiviertelstunde Marsch über ein karges Plateau erreichten wir den Anfang der Felsschlucht, die wir heute durchwandern wollten. Langsam wurde es grüner, denn durch die Schlucht zog sich ein ob des trockenen Wetters doch noch sehr schmaler, kleiner Fluss, der hier und dort für einige Seen und vor allem für Pflanzenwuchs sorgte. Hier wurde der Weg zunehmend abenteuerlicher.

Über Stock und Stein kletterten wir zu grünen Rock Pools hinab, hangelten uns an Felshängen entlang und kamen so immer tiefer in die Schlucht. Irgendwann, als wir alle eine Pause herzlich nötig hatten, tauchte zu unserer Rechten unser erstes großes Zwischenziel auf: Der Zavitan Wasserfall. Ein schmaler Strom fiel einige Meter in einen klaren See, auf den wir nun allesamt herabschauten und beschlossen: Da wandern wir mal hin. Zehn Minuten später waren wir da, und am Rande des Sees fanden wir German.

Foto von Lena Göhringer

Foto von Nico Schwarz

Wir suchten uns alle ein schattiges Plätzchen, aßen Mittag (Klassiker: Brot und Humus), und einige wenige von uns, mich eingeschlossen, machten Arschbomben in das verdammt kalte Quellwasser. Im November. Willkommen in Israel.

Vernünftig abgekühlt wickelte ich mich in Rusnes Handtuch (ich hatte meins natürlich mal wieder vergessen) und ließ die Sonne meine Haare trocknen, während ich eine scheibe Graubrot nach der anderen faltete und in meinen Hummus tunkte. Dabei saß ich auf Felsen und blickte auf das Wasser und die Steilhänge vor mir, hinter mir plätscherte der Wasserfall, und ich dachte: „Da ist er wieder, einer dieser Momente.“ So war das. Das war einer dieser Momente, und ich war mal wieder sehr, sehr glücklich. Aber ein Sprung in kaltes Wasser unter israelischer Sonne kann glaube ich niemanden nicht glücklich machen.

Foto von Rusne Smitaite

Am Horizont war mittlerweile wieder der See Genezareth aufgetaucht. Dorthin führte die Schlucht, an der wir in den vergangenen Stunden entlanggelaufen waren, wurde immer tiefer und gewaltiger. Uns stand ein zweiter Abstieg bevor. Einmal wollten wir noch hinein ins dunkle Grün, und so arbeiteten wir uns über trockenes Geröll auf einem schlechten und steilen Weg ein weiteres Mal hinal ins Tal. Nicht sonderlich kniefreundlich muss man sagen, als wir unten angekommen waren, zitterten jedem Einzelnen von uns die Beine. Aber wir hatten es geschafft, und darauf kam es an.

Wieder liefen wir am Wasser entlang, dieses Mal fanden wir uns hier und da an Felswänden hängend wieder, in welche Metallbügel geschlagen worden waren, an denen wir etwas mehr halt finden sollten als am unnachgiebigen Gestein.

Nach der letzten Pause an einem kleinen See kamen wir zu einer Quelle, von der langsam Frischwasser plätscherte. Das sorgte zum Einen für eine angenehme Geräuschkulisse, zum anderen schützte uns an der Quelle ein dichtes Blätterdach vor der Sonne und kühlte uns ab. Wir waren mittlerweile alle schweißgebadet, auf unseren T-Shirts zeichnete sich deutlich ab, wo unsere Rucksäcke gesessen hatten. Einigen tropften Schweißperlen von der Stirn, alle waren müde, aber es waren auch alle froh, dass wir es hierher geschafft hatten. Dass wir losgegangen waren. Dass wir das sehen konnten. Das, was jetzt Israel und früher mal Syrien war.

Übrigens, wenn ihr mal auf die Landkarte guckt, werdet ihr feststellen, dass es keine klare Grenze zwischen Israel und Syrien gibt. Auf Google Maps sind vier gesrichelte Grenzlinien mit unterschiedlichem Verlauf eingezeichnet. Das liegt daran, dass das Grenzgebiet seit langem umkämpft ist und sich erst nach 1967 einigermaßen Ruhe eingestellt hat. Die Golanhöhen sind in Gänze Israelisches Besatzungsgebiet, einige Teile werden von der UN verwaltet. Wir selbst steckten gerade irgendwo zwischen der zweiten und der dritten Grenzlinie auf der Karte, also quasi genau zwischen Israel und Syrien. Ein komisches Gefühl war das. Aber die Natur war wieder mal so schön, dass wir das einfach vergaßen. Mit „das“ meine ich den Krieg. Denn sagen wir es, wie es ist: Hier ist nunmal Krieg, und zwar immer. Und in Syrien ja sowieso.

Doch zurück zur Wanderung. Uns stand jetzt nur noch der Endspurt bevor. Ja, ihr ahnt es: Wieder hinaus aus der Schlucht. Herzlichen Glückwunsch. Ich kürze das hier mal ab und sage: Da waren eiserne Lungen und stählerne Beine gefordert. Doch die Wandergruppe Kriegsgebiet schaffte es letztendlich unversehrt und ohne Kollateralschäden wieder zurück zum Parkplatz. Da war es 15:00 Uhr. Fünf Stunden Wanderrung erfolgreich erledigt. Wir waren happy.

Foto von Lena Göhringer

Nächster Punkt auf unserer Agenda war ein Aussichtspunkt, dessen Namen ich weder weiß noch irgendwie herausfinden kann. Jedenfalls war es ein Berg mitten in der Landschaft, direkt am Grenzzaun zu Syrien (den gibt es nämlich sehr wohl, man muss ja die Flüchtlinge draußen halten) von dem aus man einen hervorragenden Blick auf den Mount Hermon, den höchten Berg in der Gegend, Syrien und den Libanon hat. Als sich unser kleiner Mietwagen diesen Berg hochkämfte, kam uns ein ganzer Schwung UN-Fahrzeuge entgegen. In solchen Augenblicken wird einem dann doch wieder schmerzlich bewusst, wo man eigentlich gerade ist, und wie verdammt verwöhnt wir alle als EU-Bürger wirklich sind.

Foto von Nico Schwarz

Dieses Gefühl ließ mich die ganze Zeit über, die wir auf dem Berg verbrachten, auch nicht wieder los. Da waren neben einiger asiatischer Reisegruppen ein alter Bunker, Schutzwälle, Stacheldrahtzäune. Vor allem aber war da der Blick auf Syrien. Eine verlassen aussehende Stadt, kaum befahrene Straßen. Und wer hinhörte, über die Stimmen der Touristen hinweg hinhörte, konnte in der Ferne Explosionen ausmachen. Damaskus war von hier aus noch 60 Kilometer weit entfernt. Näher dran als alles, was mir lieb und heilig war. Da war Krieg. Da starben Menschen. Genau jetzt. In diesem Moment, als die Sonne hinter den Golanhöhen verschwand. Und hinter mir kauften chinesische Touristen Kaffee und Schokokuchen. Selten hatte sich in meinem Leben irgendetwas so falsch angefühlt.

Da muss man doch was unternehmen.

Ich arbeite dran.

Langsam wurde es kalt, und Reisegruppe Kriegsgebiet wurde hungrig – ganz zu Recht, es war bis hierhin ja auch ein langer Tag gewesen. Also ging es weiter, den Berg wieder hinunter und hinein in eine seltsam anmutende, halb verlassene Grenzstadt.

Niemals nicht hätten wir von alleine da angehalten, denn schön war ganz sicher anders. Doch Alon aus dem Hostel hatte uns hier ein Restaurant empfohlen, in dem es gutes, vegetarisches Essen für einen Appel und ein Ei geben sollte, und sowas lassen sich ärmliche Studenten ja nicht zwei Mal sagen. Alon hatte nicht zu viel versrpochen.

Wir bestellten einmal die Speisekarte rauf und wieder runter. Gebackene Aubergine mit Tahini, dreierlei Hummus, Falafel bis zum Abwinken, Ziegenkäse für die Nicht-Veganer. Dazu gab es wie immer mehr Eingelegtes Gemüse und Dips als jemals irgendjemand essen könnte und natürlich all you can eat Pita, das ist hier sowieso immer dabei. An unserer großen Tafel mit Papiertischdecke schlugen wir uns die Bäuche so voll, dass sich niemand mehr bewegen konnte oder wollte. Es war ein Festmahl.

Wir hatten nicht so recht auf die Preise geachtet und einfach festgelegt, dass wir gemeinsam bezahlen und am Ende alles durch neun teilen würden. Ja, wir waren jetzt neun, denn wir hatten German einfach für den Rest des Tages mit eingesackt. Der arme hatte ja kein Auto, und zu Fuß kommt man nicht allzu weit. Jedenfalls oblag das Zahlen mir. Ich ging also zur Kasse, bat um die Rechnung – und dachte, ich höre nicht richtig.

217 Israelische Schekel. 217 Schekel!! Das waren 54,25€ für ein Festmahl für neun Leute! Wir hatten nach dem Essen außerdem noch kostenosen Kaffee serviert bekommen. Nun, diesen Preis zahle ich mehr als gerne, und plötzlich schmeckte das Essen im Nachhinein nochmal doppelt so gut. Das waren also nicht nur die mit abstand besten, sondern auch noch die wohl billigsten Falafel meines Lebens gewesen. Lag wohl an der Lage des Restaurants, würde ich mal vermuten. Wir lachten uns ins Fäustchen.

Im Anschluss hätten wir prinzipiell wieder nach Hause fahren können. Das Abendbrot war gegessen, die Sonne war untergegangen und morgen früh um 08:45 Uhr mussten wir allemann wieder in der Uni sitzen. Doch ein Ass hatten wir noch im Ärmel. Nicht ganz legal, dafür zu 100% großartig. Passt auf.

Zehn Autominuten vom Restaurant entfernt fanden wir uns irgendwo im Norgendwo wieder. Als Adomas plötzlich von der asphaltierten Straße abbog, begrüßten uns zwei Schilder an einem Maschendrahtzaun. „DURCHFAHRT FÜR JEGLICHE FAHRZEUGE VERBOTEN. PRIVTGRUNDSTÜCK.“ stand da. Wir fuhren trotzdem weiter, denn wir hatten ein Ziel. Nach zweihundert Metern Schotterpiste waren wir nicht mehr das einzige Auto. Da hatte sich ein ganzer Parkplatz gebildet, auf dem hier und da Israelis an Lagerfeuern saßen, Bier tranken, laut lachten. Und im Hintergrund tauchte genau das auf, was wir gesucht hatten.

Für die Landwirtschaft wird heißes Wasser aus vulkanischen Quellen im Nordwesten Israels in die Golanhöhen umgeleitet. Auf dem Weg zu seinem Bestimmungsort wird dieses Wasser auf ein steiniges Feld gepumpt, auf welchem dadurch eine etwa knietiefe, riesige heiße Pfütze entsteht. Die lag da nun. Es war stockduster, alles, was uns bei der Sicht half, war ein überwältigend großer, leuchtender Vollmond am Horizont. Das heiße Wasser dampfte einen dichten Nebelschleier in die Nacht, wir schienen die einzigen Nicht-Isralis zu sein, zogen uns im Dunkel hinter unseren Autos um, wanderten durch die kühle Nachtluft hinein ins heiße Quellwasser mit Blick auf Mond und Sterne und sonst nichts.

Foto von Nico Schwarz

Ich ließ mich nach hinten fallen, bis meine Ohren unter der Wasseroberfläche verschwunden und die Geräusche um mich herum zu einem dumpfen Murmeln geworden waren. Über mir die Sterne, und unter mir Israel. Über mir die Sterne, und unter mir Israel. Über mir die Sterne, und unter mir Israel.

Und in Syrien war Krieg.

Was war das für ein Tag.

Was war das für eine Welt.

Nun, auch die wichtigsten Momente im Leben gehen irgendwann mal vorbei. So mussten wir nach einiger Zeit einfach los, es war spät, wir hatten noch knappe drei Stunden Fahrt vor uns und wollten nach Hause, um vor der Vorlesung morgen früh noch eine Mütze Schlaf abzubekommen. Also flogen wir über israelische Highways wieder zurück nach Herzliya. Nach Hause. Ins Bett. Wo mir einmal wieder klar wurde, wofür ich diese ganze Arbeit, die das Reisen so mit sich bringt, eigentlich auf mich nehme. Für diese Tage. Für die Bilder, die ich jetzt in meinem Kopf hatte und so schnell nicht wieder vergessen würde. Dafür, dass sich die Nachrichten über den Krieg in Syrien von jetzt an für immer anders anfühlen würden. Dass der See Genezareth ein Gesicht bekommen hatte. Dass ich wusste, wo Galiläa war, und da auch noch einen freundlichen Hostelbesitzer kannte. Dafür, dass ich Arschbomben unter einem Wasserfall machen konnte. Das war jede Befragung am Flughafen, jeden Nachsendeaufrag der Deutschen Post, jede Warteminute in der Botschaft wert gewesen.

Mit diesem Gedanken schlief ich ein.

6 Antworten auf „Golan: Und da hinten ist der Krieg.“

sehr interessant man kann durch die guten Fotos die ganze Reise miterleben ! Ich bin schon jetzt neugierig auf die nächste Meldung . Wir machen uns dann einen gemütlichen Abend bis dann.

Was für ein Tag – was für ein Erlebnis und wir waren dabei. Respekt und große Anerkennung für Euren Mut und Eure Energie ! Das war etwas fürs Leben !!!

Deinen lieben Brief haben wir erhalten und uns sehr darüber gefreut. Wie wir erfahren haben kommst du zu Weihnachten auf einen Besuch nach Hause. Das ist sehr schön für die ganze Familie so ein Wiedersehen. Ich kann zur zeit keine großen Reisen unternehmen und muß etwas kürzer treten. Viele liebe Grüße von uns Oma und Opa

Endlich war Zeit, um zu lesen. Ja, was für eine Welt. Alles und Nichts sind möglich. In ein und dem selben Augenblick. Kussi

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