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Couchsurfing in der Ukraine

Freunde.

Man sagt mir ja hin und wieder einen gewissen Grad an Verrücktheit nach, und das vermutlich nicht ganz zu Unrecht. Gestern morgen startete ich mein Abenteuer. Vielleicht sollte ich an dieser Stelle nochmal etwas genauer ausführen, wie das so aussehen wird. Also.

Ich bin nach Kiev geflogen, und in 14 Tagen fliege ich aus Bucharest zurück. Bisher sind nur einige Eckdaten festgehalten worden – so habe ich für heute Abend ein Ticket zum ukrainischen Staatsballett für satte 4 Euro ergattert, für den 18.04. einen Trip in die Sperrzone Chernobyl gebucht und bin für den 27.04. bei den Eltern meiner Freundin Betty in Bucharest zum Shabbat-Dinner eingeladen. Alles Weitere ist offen, und ich freue mich auf einen wie immer spontanen und ganz wahrscheinlich abenteuerreichen Trip. So einer war mal wieder überfällig, also bin ich nun hier, mit demselben Rucksack, der mich bereits so zuverlässig durch Südostasien begleitet hat. Wir sind wieder on Tour.

Nach meinem üblichen Trip zum Flughafen Ben Gurion – mittlerweile eher Routine und daher nicht sehr erwähnenswert – und dem obligatorischen Kaffee fand ich mich gestern am frühen Nachmittag in einem Flug der Ukrainian International Airlines nach Kiev wieder. Offenbar hatte ich beim Buchen vergessen, weshalb ich sonst ganz gerne Samstags fliege: Das spart die orthodoxen Mitreisenden. Mein Flieger gestern hingegen war randvoll mit jenen.

Versteht mich nicht falsch. Es können orthodoxe Erwachsene mit mir mitreisen, so viele nur wollen, nur leider neigen jene orthodoxen Erwachsenen dazu, nicht eines oder zwei, sondern eher mal so sieben bis zehn Kinder im Abstand von jeweils einem Jahr hervor- und dann auch auf Reisen mitzubringen, was zwar der israelischen Demografie sehr gut tut, für mich jedoch eine echte nervliche Herausforderung darstellt. Wie dem auch sei, es war geschehen, und so sah ich mich in einem Fenstersitz gefesselt und mit relativ permanenter Geräuschkulisse beschallt, während mich eine Metalltube mit einer Geschwindigkeit von mehreren Hundert km/h durch die Atmosphäre schoss. Bizarr.

Drei Stunden später jedenfalls landeten wir in Kiev. Die Stewardessen mit ihren blauen Röcken, leuchtend gelben Lederhandschuhen, knallrotem Lippenstifft und gefrorenem Lächeln nickten alle Gäste aus dem Flieger. Und dann, in der Gangway zum Terminal, gleich der erste bizarre Zwischenfall. Fragt meine israelischen Freunde. Orthodoxe Familien mit Kindern auf Reisen sind kein Zuckerschlecken, und ich kann mir nicht vorstellen, dass besagte Familien sich dessen nicht bewusst wären. Deshalb ist es mir wirklich gänzlich schleierhaft, wie eines dieser kopfbedeckten Elternpaare auf das schmale Brett gekommen sein könnte, seinen fünf Halbwüchsigen allensamt Inlineskates unter die Füße zu schnallen. Jedenfalls zogen noch in der Gangway drei jungs mit Kippah und Schläfenlocken an mit vorbei, gefolgt von ihren Schwestern mit Flechtzöpfen und Röcken, die so lang waren, dass ich ihre Eignung als Inliner-Sportkleidung mal anzweifeln möchte. Das war also mein vorläufiger Abschied vom Holy Land. Dann ging das Abenteuer erst richtig los.

Erster Stop: Grenzkontrolle. Ganz alte Woistklara-Hasen erinnern sich vielleicht noch an meinen Bericht aus St. Petersburg und meine Empörung über die durchweg grimmigen Gesichter, die mir da so entgegenschlugen. Geiches war nun hier der Fall, nur, dass ich mittlerweile 24 und nicht mehr 19 bin und mir ein etwas gesunderes Selbstbewusstsein angewachsen ist, sodass ich mich nicht gleich angegriffen fühle, wenn mich jemand nicht von Ohr zu Ohr angrinst.

Um mich herum scharten sich Reisende in Pelz, mit rundgeföhntem Pony, mit knallroten Lippen, mit Pailettenbesatz auf den Gesäßtaschen. Klassiker, und so klischeehaft, dass es mir irgendwie ein wohliges Gefühl in den Bauch zauberte. Genau dafür war ich ja gekommen. Die Militärs standen stramm in ihren waldgrünen Hosen, mit akkurat geschorenen Haaren, und beäugten einen jeden Einreisenden misstrauisch, aber nicht böswillig. Irgendwann hatte auch ich es an der jungen Frau in Uniform vorbei auf Ukrainisches Territorium geschafft, mit Stempel im Pass. Ich war da. Endlich.

Nun, wann immer ich auf ein Soloabenteuer starte gibt es diesen einen Moment, in dem sich in meinem Kopf nur eine einzige Frage wiederholt: „Was zur HÖLLE hast du dir dabei eigentlich gedacht?!“ Das ist der Moment, in dem ich leichte Panik bekomme, mich frage, ob ich eigentlich komplett den Verstand verloren habe und quasi bereit bin, auf dem Hacken umzudrehen und wieder nach Hause zu fliegen. Ich kenne ihn gut, den Moment, und so schaffe ich es zumiest ohne größere Zwischenfälle einfach durch. Dieses Mal setzte er kurz nach der Grenzkontrolle ein, als mit langsam dämmerte, was ich mir da eingebrockt hatte. Das war nämlich einiges.

Ich hatte kein Hotel oder Hostel für die Nacht, sondern hatte mich – bequem von meinem sicheren, gemütlichen, israelischen Bett aus – für Couchsurfing entschieden. Für alle, die nicht wissen, was das ist: Couchsurfing ist ein Online-Dienst, über den man sich mit Menschen in Verbindung setzt, die einem ihre Couch zum Schlafen zur Verfügung stellen, und zwar für Lau. ODER über den man sich Menschen aus aller Welt auf seine Couch einladen kann, so man denn will. Einige von euch werden sich jetzt vielleicht Fragen, weshalb in drei Teufels Namen irgendjemand sowas jemals machen wollen würde, aber lasst mich euch daran erinnern, dass Menschen grundsätzlich gut sind, und dass man das vor allem beim Reisen nicht vergessen darf. Und es gibt wahrlich keinen besseren Weg, eine neue Kultur, ein Land und seine Menschen kennenzulernen, als bei ihnen zu Hause zu sein und das echte Leben zu sehen. Also Couchsurfing. Ich hatte vier Nachrichten, einen Namen und einen Treffpunkt, konnte nichts lesen (meine Kenntnisse des kyrillischen Alphabets lassen doch sehr zu wünschen übrig) und war gerade in einem Land gelandet, welches sich in einem langjährigen Militärkonflikt mit niemand geringerem als Russland höchst selbst befand. Jetzt könnt ihr euch vielleicht vostellen, woher mein Gefühl der Unruhe rührte. 

Aber wie wir alle wissen, beginnt Training und Verbesserung immer erst da, wo es unbequem wird. Also Augen zu und durch, auch diese Geschichte würde ein gutes Ende finden, da war ich mir sicher. Ich holte Bargeld, wimmelte ein paar aufdringliche Taxifahrer ab (Top Tip vor meiner Abreise: Nicht lächeln! Fällt mir besonders schwer) und fand schließlich den Bus, der mich in die Stadt bringen sollte. Nummer 223. Der Busfahrer verstand schon meine Frage „How much?“ nicht, mit der ich mich nach dem Preis für die Busfahrt erkunden wollte, was mich auf ungemütliche Art und Weise daran erinnerte, dass mich auch das großarigste Englisch auf dieser Reise nicht weit bringen würde. Mit Hand und Fuß erstand ich mein Ticket, und stieg 15 Minuten später in eine rumpelnde U-Bahn um, die grüne Linie nach Druzhby Narodiv, wo meine Gastgeberin auf mich warten sollte. MIttlerweile war es halb neun Abends und dunkel, und ich hoffte wirklich inständig, dass besagte Gastgeberin da sein würde.

War sie.

Hlafira mit dem lustigen Namen erwartete mich direkt am Ausgang. Sie war, ganz so wie ich, von Kopf bis Fuß in schwarze Kleidung gehüllt (100 Sympathiepunkte von mir) und wirklich eine interessante Gesprächspartnerin. Sie war gerade von der Arbeit gekommen, Customer Service für einen Mobilfunkanbieter, und war nach der 12h-Schicht ziemlich erledigt. Nicht zu erledigt aber, um noch eben ein paar Gurken und Hummus einzusammeln (ich übernahm mal das Bezahlen – umgerechnet 1,25 €) und mir, zu Hause angekommen, ein Abendessen zu zaubern.

Zum Abendessen gab es braunen Reis, gebratenen Tofu, Hummus und Salat. Das war allerdings zweitrangig, denn was mich wirklich interessierte, waren die Geschichten, die Hlafira zu erzählen hatte. Von der Zeit, als die Krim annektiert wurde zum Beispiel, und von der Situation in Donetsk und Luhansk. „Das Leben ist schrecklich da, ich weiß nicht, wie die Leute das aushalten“ hörte ich, und „wir sind im Krieg. Aber niemand sagt, dass wir im Krieg sind, denn wem sollen wir denn den Krieg erklären? Russland streitet ab, dass es irgendwas mit den Rebellen zu tun hat, was Schwachsinn ist – wer sendet denn schließlich Waffen? Aber Putin gibt das nicht zu, und wenn wir jemandem den Krieg erklären wollten, müsste das Russland sein. Und ganz ehrlich, wer will schon Krieg mit Russland?“ 

Irgenwann rückte Hlafira auch damit raus, dass sie zufällig halb Palästinenserin ist. Ein lustiger Zufall, wie ich fand, und es wunderte mich, dass sie das nicht schon viel früher erwähnt hatte – eigentlich gibt es da ja mit Menschen, die freiwillig in Israel wohnen, so einiges zu diskutieren. Doch offenslichtlich hatte Hlafira nicht so viel dazu zu sagen. 

„Ich habe meinen Vater nie kennengelernt“ erklärte sie mir. „Meine Mama wollte eine Familie, und hat wohl einen Palästinenser in Paris getroffen. Und das ist dann auch schon alles, was ich weiß.“ Eine komische Vorstellung für mich, einfach so da zu sein und zu wissen, dass man einen palästinensischen Papa hat, aber damit so gar nichts zu tun hat. Nach Israel zu fliegen ist leider zu teuer, und Auslandsreisen ein Luxus, den Hlafira und ihr Freund sich nur selten gönnen können. Und wenn, dann geht es eben nach Westeuropa, das Selhnsuchtsland, wie ich lerne. In der Ukraine sind Westeuropäer die besseren Menschen und die Kultur ist das, was hier alle gerne hätten. Das erweckt in mit ein seltsames Gefühl, weil ich das so gar nicht kenne. Aber es soll mir Recht sein.

Hlafira und ihr Freund Zhenya wohnen in einer kleinen 1-Zimmer-Wohnung im siebten Stock eines sehr sowjetisch anmutenden Hochhauses in einer sehr sowjetisch anmutenden Wohngegend einer sehr sowjetisch aussehenden Stadt. Bei Ankunft schnurrte mir Mischka um die Beine, die graue Katze von Hlafira’s Tante, die gerade gebabysittet werden musste. „Mischka, wie Mäuschen“ erklärte Hlafira mir, doch das wusste ich schon, schließlich hatte meine erste Katze aus genau demselben Grund genauso geheißten. 

Um Mitternacht kam Zhenya von der Arbeit nach Hause, ein unheimlich netter und zuvorkommender junger Mann, der allerdings aussieht, als sei er dem Jahr 1976 entsprungen. Rasierter Kopf, zu große Jeans, in die er ein ausgewaschenes Shirt gesteckt und das ganze mit einem schwarzen Ledergürtel auf Bauchnabelhöhe festgezurrt hat, schwarze Bomberjacke, zu kleine Strickmütze, sehr lang, sehr dünn. 

Ich hatte bereits meinen Schlafplatz eingenommen, eine etwa 5mm dicke Isomatte auf dem Holzfußboden plus Decke und Kopfkissen, an meinem Fußende hatte sich Mischka bereits einquaritert, und blieb auch die Nacht über bei mir.

Die Nacht war so lala. Mein Hüftknochen bohrte sich in den Holzfußboden, ganz so wie auch meine Schultern, doch als ich gerade einen inneren Beschwerdemonolog beginnen wollte, erinnerte ich mich an die gute Inge, die ihrerseits in Vietnam bei einer Couchsurferin mal auf einer Bambusmatte auf dem Fußboden gelandet war. Kein Grund zur Panik also, und bis auf eine kurze Unterbrechung aufgrund eingeschlafener Gliedmaßen schlief ich dann doch ganz gut.

Der nebelige Morgen begann damit, dass Zhenya mir einen frischen Smoothie ans Bett brachte. Sofol Hlafira als auch Zhenya essen vegan, und so wurde mir zum Frühstück eben jener Smoothie angereicht. „Das sind Banane, Kakao, Hafermilch und Kürbiskerne“ sprach Zhenya und stellte ein Glas neben meiner Isomatte ab. Da war der harte Holzfußboden gleich vergessen.

Nachdem wir uns alle berappelt hatten, ging es aus dem Haus. Zhenya brachte Hlafira und mich zum Trolleybus, und als ich fragte, wo ich denn eigentlich mein Ticket kaufen solle, zückte er sein Portemonnaie. „Hier, nimm eines von meinen!“ und drückte mir ein Ticket in die Hand, Widerrede war vergebens. Nochmal: Die beiden kennen mich erst seit ich gestern abend zerzottelt von meinem Flug aus Israel angekommen bin. Engel gibt es überall, manchmal eben in Form zweier ukrainischer Mittzwanziger mit Teilzeitjob.

Ich war höchst fasziniert von der kommunistischen Baukunst, die mich umgab. Hier in Kiev sieht alles aus, als sei es in einen grauen Schleier gehüllt – gut, momentan ist es auch sehr nebelig, aber das meine ich nicht. Alles ist irgendwie – grau eben. Alte, verzierte Häuserfassaden stehen vor archaischem, sozialem Wohnungsbau, die Kabel für den Trolleybus ziehen sich durch alle Straßen, man guckt grimmig.

Ich hingegen bekomme derweil das Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht. Genau dafür bin ich hergekommen, genau das wollte ich sehe. Irgendwas was anders aussieht als all das, was ich bisher erlebt habe, und das ist mir wahrlich gelungen. 

Heute esse ich günstiges Essen (Frühstück + Kaffee, Mittag + Dessert, alles vegan, insgesamt 6€) und gucke mir im Pinchuck Center moderne Kunst an. Ihr kennt mich. Frühstück gab es standesgemäß in einem Buchcafé. Denn egal, wo ich bin, meiner Linie bleibe ich eben doch treu.

Alles weitere werde ich berichten. 

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