Kategorien
Thoughts

Mein Gemüsehändler Ali

Gleich neben meiner U-Bahn Station betreibt Ali einen kleinen Gemüsehandel. Die Ladenfläche ist nur etwa halb so groß wie meine Wohnung, es stapeln sich Holzkisten in der Mitte des Raumes, an den Wänden ziehen sich provisorisch zusammengezimmerte Regale bis unter die Decke. Es gibt Zucchini und Auberginen, Äpfel und Bananen, Avocados, Möhren, Paprika, Rote Beete, Spinat, Kartoffeln, Sellerie.

Die Gewürze sind in kleinen Plasikschalen abgefüllt und kosten 90 Cent. Das Fladenbrot ist täglich frisch, die Süßwaren und Bohnenkonserven aus der Türkei importiert. Das macht Sinn, denn in der Türkei ist Ali geboren. Ali ist ein Türke. Ali ist Muslim.

Wenn ich an einem sonnigen Tag auf Alis Geschäft zulaufe, fegt er den Bürgersteig. Dann liegen drei sauber getrennte Haufen aus bunten Blättern, Zweigen, Staub und Plastikmüll unter der Markise, während Ali fröhlich pfeifend weiter seinen Besen schwingt. Dann rufe ich „Hallo Ali!“ und lache ihn an, woraufhin er innehält, sich auf den Besenstiel stützt, zurückwinkt und mir mit dem breitesten Grinsen der Welt sein immer so freundliches „Hallo Schwester!“ entgegenruft.

Ali ist Mitte fünfzig, hat einen Bauch und graue Haare. In seinem Laden sammle ich alles zusammen, was ich brauche, und lege es, wenn mein Arm nicht mehr alles halten kann, auf seinem Tresen ab. Neben mir wuselt Alis Frau zwischen den Gemüsekisten umher, trägt Kartons mit ihren kurzen Beinen und vor ihrem großen Busen von A nach B. Aber ein Kopftuch trägt sie nicht. Dafür ein fast genau so breites Lächeln wie ihr Mann.

Wenn ich fertig bin, fängt Ali an zu kassieren. Wiegt ein um das andere Stück ab und tippt die Zahlen in seine Kasse. Wenn die am Ende 8,20€ anzeigt, sagt er, 8€ sind in Ordnung. Wenn sie 6,70€ anzeigt, drücke ich Ali 7€ in die Hand und verzichte auf mein Wechselgeld. Eine EC-Karte nimmt Ali nicht, aber wenn ich kein Bargeld mehr habe, darf ich gerne beim nächsten Mal bezahlen. Und das mitten in Berlin. „Ohne Vertrauen geht doch Leben nicht!“ sagt er dann. Und Recht hat er.

Was es bei Ali immer kostenlos dazu gibt, ist eine politische Diskussion über das aktuelle Weltgeschehen. Zwischen Halva und Kichererbsen kleben an der Wand neben Alis Kasse immer aktuelle Artikel aus der Welt, der Zeit oder der FAZ, es geht um Erdoğan, den IS, um Israel. Ali weiß bescheid, und hat auch eine Meinung.

„Der ist doch verrückt, dieser Erdoğan.“ sagt er, und schüttelt traurig den Kopf. „Das ist doch eine Diktatur! Die Christen, die Juden, alle sind weg aus der Türkei, dabei haben wir da alle gelebt. Ich bin neben Juden und Christen aufgewachsen, in unserer Straße hatte damals jeder ein Geschäft, ich wusste gar nicht, was ein Jude oder ein Christ war! Jeder war entweder nett zu mir und war mein Freund, oder er war ein Arschloch, dann mochte ich ihn nicht. Ist doch eigentlich ganz einfach…“

Wenn Ali einmal angefangen hat, sich aufzuregen, hört er so schnell nicht wieder auf.

„Und diese Islamisten, der IS, was soll denn das! Alle nutzen Religion als Ausrede für ihre politischen Interessen. So ein Schwachsinn! Ich bin Muslim, wir sollen nicht töten. Es ist im Islam nicht mal erlaubt, sich selbst zu töten! Und die stellen sich auf einen Platz, rufen ‚Gott ist groß‘ und sprengen sich in die Luft – das ist so paradox, das macht gar keinen Sinn!“

Im Radio läuft ein Beitrag über Israel. Dort soll ein jüdischer Soldat einen Araber erschossen haben, als der bereits am Boden lag. Jetzt soll diskutiert werden, ob es sich dabei um Mord handelt. Auch dazu weiß Ali etwas zu sagen.

„Ob er ein Mörder ist oder nicht – was hat das mit seiner Religion zu tun? Wenn ein Jude einen Araber erschießt, ist das Mord. Wenn ein Araber einen Juden erschießt, ist das Mord! Wenn du mich erschießt, ist das Mord. Wo ist da das Problem?“

Dann legt Ali mir einen Apfel nach dem anderen in meinen offenen Rucksack. Ich frage ihn nach seiner Familie, er antwortet. Ich möchte wissen, wie lange er schon in Deutschland ist. „Zwanzig Jahre“ sagt er und zieht den Reißverschluss an meinem Rucksack zu, bevor er mich anguckt.

„Weißt du, Deutschland ist so ein tolles Land. Ihr habt so viel geschafft, ihr seid so stark, und doch so feige. Ich weiß nicht, warum ihr noch so nett seid zur Türkei. Keiner hat mehr Angst vor euch!“ Offensichtlich erwartet er eine Antwort.

Bemüht darum, die politische Kleineiligkeit dieses Dialogs in Grenzen zu halten, antworte ich so einfach, wie es mir angesichts der aktuellen Ereignisse möglich ist.

„Weißt du Ali, ich glaube, wir sind einfach nicht so laut wie manch anderer. Wir reden viel und schlagen wenig – aber ich glaube nicht unbedingt, dass das ein feiger Weg ist…“

Ali nickt. Auf dem alten Display seiner Kasse stehen 5,35€.

„Fünfhundert Schwester.“ sagt er, ich bedanke mich und zahle mit einem Fünfer.

„Ich bin so gerne in Deutschland.“ schließt er „Und dieser ganze Krieg, dieser ganze Mist, und das immer unter dem Deckmantel der Religionen – das muss doch irgendwann mal aufhören.“

„Da hast du absolut Recht Ali“ sage ich „Aber wir beide mögen uns doch, und darauf kommt es an. Dann wird alles gut.“

„Inshallah.“

„So Gott will.“

„Schönen Tag noch Schwester! Bis zum nächsten Mal!“

„Danke Gleichfalls Ali, bis zum nächsten Mal!“

Und dann marschiere ich nach Hause. Die Äpfel schmecken hervorragend.

 

Meinen Gemüsehändler Ali kenne ich jetzt, seit ich im November in meine Wohnung gezogen bin. Wenn ich außerhalb der Öffnungszeiten anklopfe, und Ali gerade Ware einsortiert oder Kasse macht, schließt er mir auf, damit ich trotzdem einkaufen kann. „Für Kunden die ich kenne Schwester.“ sagt er dann, und zwinkert mir zu.

Ein oder zwei Mal die Woche sehe ich ihn, und jedes Mal sprechen wir über Politik. Dabei bin ich längst nicht immer seiner Meinung, aber wir streiten uns nie. Wir sprechen drüber, hören einander zu, und kommen immer wieder zu dem Schluss, dass die Menschen einfach nur freundlich zueinander sein müssten, egal, woher sie kommen.

„Ich kann nichts dafür, dass ich in der Türkei geboren bin. Und du kannst nichts dafür, Deutsch zu sein!“ hat Ali mal zu mir gesagt. Damit hat er so viel mehr verstanden als so viele andere Menschen auf der Welt.  Wir müssen mal aufhören, auf Dinge stolz zu sein, für die wir nichts können. Ich kann nicht stolz darauf sein, dass ich deutsch bin, weil das nicht meine Schuld oder gar mein Verdienst ist. Ich kann dankbar dafür sein, dass ich in Deutschland geboren wurde, so wie Ali dankbar dafür ist, dass es ihm hier so gut geht. Dabei hätte er noch viel eher ein Recht darauf, stolz zu sein, schließlich hat er dafür gearbeitet und gekämpft, hier sein zu dürfen.

Ich glaube alles, was ich mit diesem Post sagen will, ist, dass wir nicht vergessen dürfen, dass es Menschen wie Ali gibt. Liberalismus ist nicht abhänig von Nationalität oder Religion, Toleranz gibt es überall. Genau so wie Arschlöcher. Wenn Neonazis nachts Alis Scheibe einschmeißen, dann ist das genau so wenig meine Schuld, wie es Alis Schuld ist, wenn am Gendarmenmarkt ein LKW in eine Menschenmenge fährt. Beides macht weder alle Deutschen zu Nazis noch alle Araber zu Terroristen.

Wenn in einem Hostelzimmer in Kuala Lumpur acht Menschen wohnen, zwei Christen laut das Vater unser sprechen, während der Jude Samstags lieber mal zu Hause bleibt und die Muslime auf ihren mitgebrachten Teppichen alle in dieselbe Richtung beten, zieht das keine Streitigkeiten, Schlägereien, Bombenangriffe, Annexionen oder Diktaturen nach sich, sondern eher zwei, drei interessierte Fragen und ein gemeinschaftliches Abendessen, kosher und halal, und für mich bitte vegan. Weil die acht Menschen zufällig keine Arschlöcher waren. Nette Menschen gibt es einfach von jeder Sorte. Genau so wie Arschlöcher. Die darf man nur nicht zu laut werden lassen.

Oder wählen.

5 Antworten auf „Mein Gemüsehändler Ali“

Wir vergessen zu oft, dass uns das Menschliche einigen sollte. Denn letzten Endes sind wir genau das – Menschen. Kussi

Ali fragt berechtigt, warum wir so nett sind. Grundgesetz Art. 8 – alle Deutschen haben das Recht sich zu versammeln – damit kann nicht die Minister- Truppe von Erdogan gemeint sein.

Die Ringparabel aus Nathan der Weise mit Deinen Worten und Erfahrungen: „Muddi“ hat Recht: Besser kann es nicht sagen !

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert