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Besuch vom Glück

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal das Wort ergreifen (schrieb sie, als hätte sie das Wort nicht bereits die vergangenen fünfzig Beiträge lang für sich allein gehabt). Ich möchte nochmal über Glück sprechen. Ich habe nämlich ein bisschen das Gefühl, dass manch einer zu Hause vor dem Bildschirm sitzt und denkt, dass alles, was mir auf meiner Reise so passiert, nicht normal ist, sondern dass das Glück mich einfach großzügiger bedenkt als manch anderen.

Zu einem Teil ist das wahr. Ich bin mir der Tatsache durchaus bewusst, dass ich unendliches Glück hatte damit, in welche Verhältnisse ich hineingeboren wurde. Ein reiches Land, eine stabile finanzielle Situation, die mit Abstand großartigsten Eltern, die diese Welt je gesehen hat. Aber wie viele von euch sicher wissen, war in meinem Leben auch sicher nicht immer alles eitel Sonnenschein, ohne, dass irgendjemand was dafür konnte. Man kann meine Lebensumstände also sehen, wie man will, ich sehe sie als großes Glück. Und damit wären wir auch schon beim Thema.

Genug von mir. Glück ist nichts absolutes, keine objektive Feststellung. Wer glaubt, andere haben immer Glück und er selbst habe immer Pech, tut das, weil er sich diese Sichtweise antrainiert hat. Und mit dem Glück ist es nunmal so, dass das, was man darüber denkt, für einen selbst zur Realität wird. Dazu eine kleine Versinnbildlichung der Sache mit dem Glück.

Das Glück ist wie ein guter, alter Freund aus Kindertagen. Man vergisst ihn, meldet sich nicht mehr, hat andere Sachen zu tun. Arbeit, Familie, Alltag. Aber das Glück ist ein guter Freund, sehr loyal, und so schneit es in regelmäßigen Abständen immer mal bei einem vorbei. So auf Überraschungsbesuch sozusagen. Es klingelt also an unserer Tür, wir wissen nicht, wer es ist, machen aber mal auf und sehen, wer da vor unserem Haus steht. Und dann kommt es auf uns an.

Da gibt es Menschen, die die Tür aufmachen, sehen, es ist das Glück, der alte Freund. Scheiße. Der hat sich nicht angemeldet, die Wohnung ist unordentlich, es wartet ein riesiger Haufen Arbeit und sowieso wollten sie eigentlich gerade einkaufen fahren.

„Oh Mann Glück ey, is ja schön, dass du noch da bist, aber nicht jetzt.“ sagen sie, genervt davon, dass sie sich nicht auf das Glück vorbereiten konnten, und nicht gewillt, genau jetzt ihren vollgestopften Terminkalender zu vergessen. „Kannst du nicht morgen nachmittag wiederkommen?“

Aber mit dem Glück, dem alten Schlingel, lässt sich leider nicht planen. Er kommt und geht, wie er gerade Zeit hat. Schließlich hat er sieben Milliarden Freunde, um die er sich zu kümmern hat. Da fällt die Organisation schwer. Also zieht das Glück wieder ab, enttäuscht, dass ein alter Freund ihn so genervt abwimmelt, und auch ein bisschen eingeschnappt. Also klingelt er an der nächsten Tür.

„Oh, hallo Glück!“ hinter dieser Tür steht ein Mensch anderer Sorte. Er hat auch gerade viel zu tun, freut sich aber zu sehr, seinem alten Freund wieder zu begegnen, lässt also alles stehen und liegen, führt das Glück ins Wohnzimmer und kocht Kaffee. Die Wohnung ist unordentlich, das Glück muss sich ein bisschen Platz auf dem Sofa schaffen, auf dem noch die dreckige Wäsche und die fette Katze liegen. Das Glück und der Besuchte unterhalten sich angeregt, doch nach einer Stunde muss das Glück leider gehen, da sein Freund von einem wieder anderen Freund zum Essen abgeholt wird, und diese Verabredung kann nun wirklich nicht warten.

„War schön, dich mal wieder zu sehen, Glück! Meld dich doch einfach, wenn du mal wieder Zeit hast.“

Das Glück zuckt mit den Schultern, umarmt seinen Freund und zieht von Dannen. Das war auf jeden Fall schon mal ein erhellenderer Empfang als der vorherige. Nächste Tür, die letzte für Heute. Das Glück klingelt und wartet.

Die Tür geht auf. Hinter ihr steht ein breit grinsender Mensch in aufgeräumter, zufrieden und glücklich. Im Haus riecht es nach frisch gebackenem Kuchen, eine Kanne frischen Kaffees steht schon auf dem gedeckten Tisch. „Das fängt ja schon mal gut an.“ denkt das Glück. Der Besuchte strahlt noch immer.

„Hallo Glück! Ich hab schon auf dich gewartet. Der Kuchen ist fertig, Schokolade, ich weiß, das magst du am Liebsten. Kaffee mit einem Schluck Milch und ohne Zucker, so viel weiß ich noch. Komm doch rein! Ich habe heute nichts mehr vor. Wir haben Zeit.“

Das Glück ist überwältigt. Schokokuchen! Frischer Kaffee! Es tritt in eine aufgeräumte Wohnung, gemütlich eingerichtet, es brennen ein paar Kerzen. Sein Freund steht am Wohnzimmertisch und schenkt Kaffee ein.

„Setz dich doch! Fühl dich wie zu Hause.“

Und wenn das Glück etwas kann, dann ist es wohl, sich häuslich bei denjenigen einzurichten, die ihm das anbieten. Also legt es die Beine hoch, lehnt sich zurück und rührt in seinem dampfenden Kaffee.

In den folgenden Stunden versacken das Glück und sein alter Freund tief in Gesprächen. Irgendwann holt der Gastgeber eine Flasche Rotwein aus dem Keller, das Glück vergisst die Zeit, es beschließt, über Nacht zu bleiben. Die Gesprächsthemen werden immer tiefsinniger und besser, und als das Glück am nächsten Morgen aufwacht, freut es sich, am Vortag schließlich doch noch einen so guten Freund gefunden zu haben.

Nach dem Frühstück ist es Zeit zu gehen. Die beiden Freunde umarmen sich herzlich, und das Glück wird eingeladen, bald wieder vorbeizuschauen.

„Für dich habe ich doch immer Zeit!“

Sind die letzten Worte des Gastgebers, bevor das Glück seine WOhnung verlässt und die Tür wieder hinter ihm zufällt.

So. Kleine rhetorische Frage. Bei welchem der drei Menschen schaut das Glück wohl mit zunehmender Frequenz vorbei, hm?

Ich hoffe, ihr versteht die Analogien hinter dieser kleinen Geschichte. Das Glück ist natürlich nicht alleine unterwegs und besucht immer nur einen von sieben Milliarden Menschen. Logisch. Und wenn ich von einer aufgeräumten Wohnung und einer frischen Tasse Kaffee spreche, meine ich natürlich nicht wörtlich eine aufgeräumte Wohnung und einen frisch gekochten Kaffee. Um Himmels Willen. Wie soll man denn auch bitte 24/7 einen freien Terminkalender, eine aufgeräumte Wohnung und vor allem heißen Kaffee und Schokokuchen auf dem Tisch haben?

Was ich meine ist, dass man Raum lassen muss in seinem Leben, um das Glück zu erkennen und mitmischen zu lassen, wenn es mitmischen will. Zu oft schaut das Glück vorbei und wir erkennen es nicht als alten Freund, der mit guten Gesprächsthemen im Gepäck bei uns vorbeischaut, sondern als Störenfried, Unannehmlichkeit oder unnötigen Umweg.

Wir müssen versuchen uns ein Leben zu gestalten, in dem immer Zeit für eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen ist. Und das hat zwei Vorteile:

  1. Klar. Kommt das Glück häufiger vorbei. Wer könnte das nicht wollen? Das Beste daran ist aber
  2. , dass wir auch dann, wenn das Glück nicht vorbei schaut, eine aufgeräumte Wohnung haben, in der die Kerzen brennen und es nach Schokokuchen und Kaffee riecht.

Wenn ihr versteht, was ich meine.

4 Antworten auf „Besuch vom Glück“

Da gibt’s nichts hinzuzufügen ! Gruß aus Bernburg und weiterhin Glück für die letzten Wochen! Katrin Winkler-Hindricks

Gefällt mir sehr,sollte in einem Feuilleton zu lesen sein ! Werde meinen Tag heute so verbringen, weil ich schon weiß, heute nachmittag kommt das Glück bei mir zu Besuch. Nur mit dem Schokokuchen kämpfe ich noch – wegen deren Kalorien…

Wir werden diesen blog ausdrucken und uns v o r den Spiegel stecken, damit wir ihn täglich vor Augen und im Sinn haben.
Du bist ein wundervolles Geschöpf und der liebe Gott möge Dich durch seine Schutzengel stets behüten und glücklich
machen !

So was wunderbares zu lesen, wo ich doch nur zufällig vorbei geschaut habe, hat mich glücklich gemacht. Vielen herzlichen Dank für so eine schöne Geschichte, die mich natürlich zum (inneren) Aufräumen animiert…

Herzliche Grüße aus Magdeburg von Renate Bojanowski

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