Kategorien
Israel Thoughts

Tel Aviv: „Israel? Warum denn Israel?“

Wie oft ich in den letzten zehn Monaten diese Frage gehört habe, kann ich kaum noch sagen. Oft. Sehr, sehr oft. Und immer musste ich mit irgendeiner gut durchdahten Antwort um die Ecke kommen. „Weil es politisch so interessant ist.“. „Weil es das spannendste Land auf der Liste war.“. „Weil es da kulturell so viel zu erleben gibt.“.“Weil die Startup-Szene so einmalig ist.“ All das habe ich gesagt. Und gedacht habe ich immer nur: „Äh, keine Ahnung, weil ich halt Lust drauf habe, denke ich.“ Aber das ist ja irgendwie nie die Antwort, mit der sich Menschen gerne zufrieden geben.

Wer macht schon irgendwas nur, weil er Lust drauf hat? Das meiste, was wir tun, sollte doch bitte Mittel zum Zweck sein. Zur Schule gehen um zu studieren für einen guten Job mit gutem Gehalt für Bau des Einfamilienhauses und Leasingraten für einen Neuwagen. Sport für einen flachen Bauch und solide Herzgesundheit, Museumsbesuche für die Allgemeinbildung, Dorffest und Geburtstagsparty für Festigung, Erweiterung und Pflege des sozialen Umfelds. Geschenke kaufen, damit man nicht als einziger kein Geschenk dabei hat, einen Weihnachtsbaum aufstellen, vor dem Fenster, damit die Nachbarn ihn sehen. Ihr versteht, was ich meine. Alles hat Sinn, Zweck und Verstand.

Besonders bei erfolgreichen Menschen wird davon ausgegangen, dass sie alles immer aus einem gewissen Grund tun, weil sie ein Ziel vor Augen haben, nach dem sie jede ihrer Handlungen ausrichten. Ziele haben, darauf hinarbeiten und sie erreichen, das ist die definition von Erfolg, das verschafft Ansehen, Glück, Beliebtheit, ein gutes Leben. An dieser Aussage ist ziemlich viel richtig, wenn man sie klug interpretiert. Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich deshalb mal zwei Anmerkungen zu diesem Thema machen, vielleicht auch, weil ich das Gefühl habe, mich immer häufiger für das rechtfertigen zu müssen, was ich in meinem Leben so mache, und das jetzt hier mal in schriftlicher Form endlich abhandeln will.

1. Der Weg ist das Ziel

Laaaaangweilig! Haben wir alle schon tausend Mal auf irgendwelchen Grußkarten mit überromantisierten Darstellungen deutscher Wanderwege drauf gelesen. Jeder „365 Sprüche für ein glückliches Jahr“-Abreißkalender birgt ein Blatt mit diesem Spruch, und immer sehen wir ihn, ohne ihn wahrzunehmen, weil die Welt der Worte so unheimlich übersättigt ist mit dieser allgegenwärtigen Platitüde. Dabei ist so viel Wahres dran, wenn wir mal kurz innehalten und darüber nachdenken.

Das Leben ist der Zug, nicht der Bahnhof. Diesen schönen Satz hat Paulo Coelho in sein Buch „Aleph“ geschrieben, in dem er von seiner Reise mit der Transsibirischen Eisenbahn durch Russland erzählt. Im Prinzip ist die Aussage des Satzes dieselbe, aber irgendwie lässt dieser Ausdruck sich einfacher auf’s Leben anwenden, wie ich finde. Wir alle kennen das doch: Jahrelang arbeiten wir auf irgendein Ziel hin. Bestimmt, zielgerichtet, voller Entschlossenheit, Konzentration. Unser Leben hat einen Sinn! Abitur, Studienabschluss, Beförderung, Hochzeit. Oder im Kleineren: Ausrichtung der perfekten Geburtstagsfeier, Erreichen des Endes der letzten Staffel „Game of Thrones“. Dann erreichen wir das Ziel. Und fallen plötzlich, unerwartet, nach einem kurzen Hochgefühl des Erfolgs, in eine tiefe Sinnkrise. Was haben wir noch gleich mit unseren freien Abenden gemacht, als wir nicht für die nächste Prüfung büffeln mussten? Die nächsthöhere Gehaltsstufe ist ereicht, und jetzt? Diese Leere beschäftigt uns in etwa so lange, bis wir uns das nächste Ziel stecken. Und wieder einen Sinn sehen. Wieder etwas haben, was am Horizont auf uns wartet, und wonach wir unser Leben ausrichten können.

Wenn man also einmal vergleicht, wie viel Zeit man im Leben mit dem Hinarbeiten auf ein Ziel verbringt und wie lange die Freude über das am Ziel sein dann letztendlich anhält, kommt man unweigerlich zu dem Schluss, dass das Leben zu 99% aus dem Weg dorthin besteht. Die Übergabe meines Bachelorzeugnisses hat etwa 20 Sekunden gedauert. Habe nur 12 Jahre Schule und vier Jahre Studium gebraucht, um da hin zu kommen.

Folglich ist man gut damit beraten, sein Glück nicht im Erreichen eines Ziels zu suchen, sondern im hier und jetzt. „Wenn ich endlich ein Auto habe, dann bin ich glücklich!“ „Wenn ich mindestens 50.000 € im Jahr verdiene, geht mein Leben los!“ „Wenn ich wieder gesund bin, dann wird alles besser!“ Nun, ich will hier ja nicht der Buhmann sein, aber so läuft’s nicht, liebe Freunde. Wer jetzt nicht glücklich ist, dem wird es vermutlich auch an jenem Punkt in der Zukunft nicht gelingen. Oder es gelingt kurz, einige Stunden, Tage, vielleicht Wochen lang, und dann geht das Spiel wieder von vorne los: Jahrelange Unzufriedenheit bis zum Erreichen des nächsten Ziels für einen kurzen Glücksmoment. Das ist ein todsicheres Rezept dafür, die eben erwähnten 99% seiner Zeit, in denen man auf irgendetwas hinarbeitet, unglücklich zu sein. Und das kann es doch nicht sein, wofür das Leben gut ist.

2. Das richtige Ziel

Wie also arbeiten wir uns wieder heraus aus diesem Teufelskreis? An dieser Stelle sei kurz erwähnt, dass ich keine Universalgelehrte bin, die hier die große Weisheit unter die Leute bringen möchte. Diese ganzen Ideen haben schon viele Menschen vor mir gedacht und ganz großartig niedergeschrieben, vermutlich eloquenter, eindeutiger, strukturierter, sicher ausführlicher und wahrscheinlich auch besser als ich. Alles nichts neues. Ich finde aber, dass man es trotzdem nochmal sagen kann, weil zu wenige Menschen es zu wissen scheinen, und, weil es vielleicht ein bisschen glaubwürdiger klingt, wenn es für Klara aus dem Nachbardorf funktioniert hat, als wenn Guru XY aus Hinterindien als Erleuchteter zu einem spricht.

So. Zurück zum Thema. Heraus aus diesem Teufelskreis. Aber wie? Die Antwort ist einfach, die Umsetzung auch, wenn man denn will: Man braucht ein neues Ziel. Wir Menschen tendieren dazu, uns Ziele in der uns umgebenden Welt zu setzen, gesellschaftlich, materiell. Ein Jahresgehalt. Irgendein Besitztum. Eine erfolgreiche Beziehung. Eine Position. Alles Dinge, die nur sehr kurzfristig glücklich machen. Stattdessen können wir versuchen, uns ein inneres Ziel zu setzen, nach dem wir alles ausrichten: Glücklich sein.

Das klingt jetzt so furchtbar simpel, dass es beinahre unrealistisch wirkt. „Die hat leicht reden! Was ist „Glcklich sein“ denn bitte für ein Ziel?“ Ja, verstehe ich. Lasst mich kurz erklären.

Ich weiß nicht, seit wie vielen Jahren ich nach diesem Prinzip operiere. Jedenfalls so lange, dass ich mich nicht mehr daran erinnern kann, wann es losging. Das Rezept ist einfach. Man fragt sich, hier und heute: Bin ich glücklich?

Da gibt es zwei mögliche Antworten. Ist die Antwort „Ja“, lautet die Devise: Weitermachen wie gehabt, ihr seid auf dem richtigen Weg. Ist die Antort „Nein“, muss man sich eine weitere Frage stellen: „Was kann ich ändern, damit ich wieder glücklich bin?“. Die Betonung liegt hier auf dem „ich“. Nicht „Was müsste sich ändern, damit…“ sondern „Was kann ich ändern.“ Wichtig.

Diese Frage stellt für viele nun ein heikles Problem dar. Da tun sich nämlich gerne mal Dinge auf, über die man nicht so richtig nachdenken will, weil die unangenehm sind. Da wir dann plötzlich klar, dass man jemanden verlassen müsste. Dass man kündigen müsste. Dass man umziehen müsste. Dass man anfangen müsste, Sport zu treiben. Dass ich aufhören müsste, mich selbst ob meiner Krankheit zu bemitleiden und mich mit ihr zu identifizieren, dass ich das Kranksein als großartigen, wertvollen Teil meiner Person akzeptieren und wertschätzen müsste. Alles Dinge, die uns nicht so richtig gut gefallen, und die wir gerne, sehr gerne verdrängen. Aus Angst vor den Konsequenzen, aus Angst vor Verlust im gesellschaftlichen Sinne: Prestige, Ansehen, Status, Geld, Mitleid. Man findet dann Ausreden wie „Das kann ich nicht machen, weil…“ „Wenn ich das aber tue, dann…“ und ähnliches. I call Bullshit. Das ist Angst, und Angst lähmt. Klingt brutal, zu wenig differenziert, ist es vielleicht auch. Vielleicht aber auch nicht. In jedem Falle ist das hier ein Text von mir, und deshalb sage ich es, wie ich darüber denke. Angst hatte ich ja in einem meiner letzten Blogposts schonmal abgehandelt als etwas, das man doch besser überwindet, für ein glücklicheres Seelenleben.

Und wenn man das dann hinbekommt, liebe Freunde, dann wartet das Paradies auf einen. Versprochen. Wenn man diese Angst überwinden kann, dann wartet am anderen Ende ein Leben, das zum obersten Ziel hat, niemanden anders, sondern uns selbst glücklich zu machen. Jeden Tag.

Toller Bonuspunkt: Die äußeren Ziele erreichen sich dann quasi von allein. Wer tut, was ihn glücklich macht, der strahlt Zufriedenheit und Ruhe aus, und der ist gut in dem, was er tut. Der ist beliebt, und zwar bei den richtigen Menschen, die etwas zurückzugeben wissen. Der wird seine Miete bezahlt bekommen. Der wird ein gutes Leben haben. Vielleicht kein großes Haus, und vielleicht kein volles Konto, aber was ist das alles schon wert, wenn man trotzdem happy ist?

Um hier irgendwann mal den Bogen zu finden, schließe ich jetzt. Mit einer ehrlichen Antwort, auf die Frage: „Warum denn Israel?“. Ich hätte nicht ins Ausland gemusst. Ich habe mein Studium dadurch quasi aus Spaß an der Freude um sechs Monate verlängert. Absolut nicht zielführend, was den nächsthöheren akademischen Abschluss betrifft. Aber ich hatte Bock drauf. Ich wusste, dass es mich glücklich macht. Und jeden Morgen wache ich hier auf, gucke an die Decke, und denke: „Geil. Ich bin in Israel.“ Und darauf kommt es an.

2 Antworten auf „Tel Aviv: „Israel? Warum denn Israel?““

Hallo du tapfere Mädel,
Möchte dich nur mal kurz aus der Ferne ganz doll drücken und viel Glück wünschen.
Hast du dein Glücksengelchen dabei?

Alles Liebe ……und bis die Tage ,ich schreibe dir auf jeden Falll.

Lydia

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert