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Israel

Durch Wüste und Westjordanland bis nach Jerusalem

Die vierte Nacht in Israel ist vergangen und ich muss sagen, hätte mir hier nur ein verlängertes Wochenende zur Verfügung gestanden, ich hätte bis jetzt das Beste daraus gemacht.

Gestern morgen packte ich all die Lebensmittel, die Tal und ich für die kommenden Tage besorgt hatten, in einen Jutebeutel, schmiss meine Zahnbürste und Badesachen in meinen Rucksack und machte mich auf den Weg. Mit dem kleinen Nissan Micra fuhr ich nach Navi durch die am Morgen dieses Feiertages leeren Straßen Tel Avivs, sammelte Tal ein, und bald darauf waren wir en route zum Toten Meer. Ja, richtig. Warum die richtig coolen Dinge nicht sofort abhaken? Also rauschten wir auf dem Highway hinaus aus der Stadt, ließen die Hochhäuser hinter uns und fuhren immer dem Staub endgegen. Denn staubig ist es hier, das kann man sich kaum vorstellen. Es ist ein bisschen, als würde der Horizont konstant von morgendlichem Nebel verschleiert, nur, dass dieser Nebel für verstaubte Fußböden und trockene Augen sorgt.

Auf der Hälfte des Weges, nach etwa einer Stunde, machten wir Halt an einer Raststätte und brunchten, oder so ähnlich. Es war für’s Frühstück zu spät und für’s Mittag zu früh, es musste also Brunch sein. Auf dem Tisch vor uns breiteten wir unsere Plastiktüten aus und schälten Pomelo, schnitten Sternfrüchte, aßen Birnen. Alles so saftig und süß wie ich es nur selten zuvor erleben durfte, und das auch nicht in westeuropäischen Gefilden. Dann ging es weiter.

Die Highways hier sind eine spannende Sache. Die Geschwindigkeitsbegrenzung liegt bei 110 km/h, offenbar in den Augen israelischer Behörden langsam genug, um in diesem Tempo knietiefe Schlaglöcher zu überfahren. Ab und wann sieht man mal einen Radfahrer mit zwei Plastikbeuteln am Lenker oder einen verschwitzten Jogger auf dem Seitenstreifen, vor denen warnt hier und da aber auch ein Verkehrsschild, damit man nicht so überrascht ist.

(Hier musste ich meinem Beifahrer mal die Kamera in die Hand drücken, ich war ja mit anderen Dingen beschäftigt)

Je weiter wir fuhren, desto wüstiger wurde unsere Umgebung. Der kleine Micra quälte sich im dritten Gang steinige Berge hoch und rollte dann über kurvige Asphaltwege in Richtung des tiefstgelegenen Sees der Erde: Des Toten Meeres. Mittlerweile waren kaum noch Pflanzen zu entdecken, dafür bildeten rote Felsformationen einen schroffen Kontrast zum wolkenlos blauen Himmel über uns. Immer wieder flogen Hinweisschider am Fenster vorbei: 100 Meter unter dem Meeresspiegel. 200 Meter unter dem Meeresspiegel. 300, dann 400 Meter. Als am Fuße der riesigen, kargen Berge irgendwann eine türkisblaue Pfütze auftauchte, wurde mir ein bisschen mulmig zumute. Ich würde gleich im Toten Meer schwimmen. Das stand schon länger auf der Liste, und ich freute mich darauf, endlich auch das mal erleben zu dürfen.

Sowieso fiel es mir schwer, nicht durchgängig mit Zahnpastalächeln durch die Windschutzscheibe zu schauen. Das, was ich da sah, hatte ich noch nie zuvor gesehen. Ich war einfach noch nie in einer Wüste gewesen. Und fremde Landschaften, neue Dinge, vor allem die extremen, bereiten mir eine Art von Freude und Glückseligkeit, die ich noch in nichts anderem finden konnte.

Nach etwas über zwei Stunden parkten wir neben einem Hotel am Ufer. Die Fahrt hatte so lange gedauert, weil man 1. auf Serpentinen über Gebirgszüge mit einem klapprigen, gemieteten Micra und deutschem Sicherheitsbedürfnis nicht schnell vorankommt und wir 2. einen riesigen Bogen um das von Israel besetzte Westjordanland gemacht hatten. In der Sekunde, in der ich den Motor ausschaltete und die Klimaanlage ausging wurde es zu heiß im Auto. Draußen waren es trockene 37 Grad, und wüstentypisch grillte uns die Sonne senkrecht von oben den Kopf. Wir verstauten alles, von dem wir glaubten, dass es Temperaturen über 90 Grad nicht überstehen würde, im schattigen Kofferraum, wickelten uns unsere Handtücher um den Kopf und trotteten los. Da war es also, das Tote Meer.

Bald stand ich barfuß auf einer dicken, weißen Salzkruste und begutachtete das klare Wasser vor mir. Wo nichts wächst, wird auch nichts schmutzig. Weder Algen noch Fische oder sonstiges Getier leben in der dicken Salzlake, in die ich langsam hineinzuwaten begann. „Einfach weiterlaufen, bis du nicht mehr laufen kannst. Schwimmen kannst du dann auch nicht. Warte einfach, bis der Auftrieb alles von allein erledigt.“ war der Tipp von Tal. Machte ich. Einfach weiterlaufen.

Was dann passiert, ist wirklich witzig und nur schlecht zu beschreiben. Wenn das Wasser Bauchnabelhöhe überschritten hat (man läuft übrigens konstant über Salz und nicht Sand auf dem Boden des Sees) macht man noch einige, wenige Schritte, bei denen man sich fühlt, als wäre man gerade zu seinem ersten Mondspaziergang aufgebrochen, und dann, irgendwann, erreichen die Füße beim besten Willen den Grund nicht mehr, und gleich eines Wasserballs, den man mit aller Kraft unter die Wasseroberfläche zu drücken versucht hat, treiben die Beine mit einem leisen „Blubb“ gen Himmel – und plötzlich liegt man da. Schwimmen kann man im Toten Meer nicht. Man kann auf dem Rücken liegen und sich mit den Armen ein wenig durch die Gegend paddeln. Das Wasser ist badewannenwarm, der See ist nicht sonderlich tief und liegt nunmal in einer Wüste, in der es ganzjährig heiß ist. Also ließ ich mich treiben. Von oben schien mir die Sonne auf den Bauch, von unten hielt mich schweres, mineraliengesättigtes Wasser an der Luft. Links und rechts von mir wuchsten steinerne Gebirgszüge in den Himmel, auf der einen Seite war Israel, auf der anderen Jordanien, und ich mittendrin. Vorgestern hatte ich noch in der Berliner U-Bahn gesessen und mich gefragt, was im heiligen Land wohl auf mich warten würde. Ich hatte vieles für möglich gehalten, aber dass es so schnell gehen würde, hätte ich nicht gedacht. Ich kann mich nur wiederholen: Einfach mal Angst haben und trotzdem machen, dann liegt man schnell im Toten Meer. Oder geht über den Jordan. Diese zwei Dinge liegen sehr nah beieinander, wer in Geografie aufgepasst hat, weiß das.

Als wir genug gedümpelt hatten und unsere weiße, europäische Haut ob der UV-Strahlung langsam die Hände hochriss, wuschen wir uns so gut es ging das Salz von der Haut und aus den Haaren, schwangen uns unsere Handtücher über die Schulter und schlurften zurück zum Auto. Dank der glücklichen Kombination aus schönem Wetter, glänzender Blechkarosserie und schwarzer Innenausstattung konnte der Wagen jetzt problemlos als Sauna nach dem Baden genutzt werden, man musste auch ein Handtuch auf den Sitz legen, um sich nicht den Hintern zu verbrennen. Wir entschieden uns dann doch für die Klimaanlage und brausten schnell vom Parkplatz runter zurück auf die Küstenstraße, die sich kilometerweit zwischen türkisem Wasser und roten Bergen hindurchschlängelt.

Es war drei Uhr nachmittags, und als nächstes stand die En Gedi-Oase auf unserer Agenda. Nur wenige Minuten weiter nördlich am Toten Meer gelegen ist das Naturschutzgebiet ein wunderbarer Ort zum Wandern, ein Fleckchen grün inmitten der sonst so lebensfeindlichen Landschaft. Auf dem Parkplatz angekommen wühlten wir unseren mitebrachten Hummus, Pitabrot, Pomelo und frische Tomaten aus dem Kofferraum und besetzten einen der Picknicktische, die so weitsichtig unter einem Schatten spendenden Holzdach aufgestellt worden waren. Ich glaube, Pita und Hummus werden hier zum Grundnahrungsmittel. Beides ist etwa tausend mal besser, als das, was ich unter demselben Namen bisher in Deutschland vorgesetzt bekommen habe, es ist einfach, schnell, vegan, und nicht so ganz ungesund. So ganz gesund zwar auch nicht, aber dafür waren ja die Tomaten und die Pomelo mit an Bord. Satt und glücklich bezahlten wir den Eintritt zum En Gedi-Nationalpark und wanderten los. Wir hatten nur noch etwa eineinhalb Stunden bis zur Schließung des Parks, aber das sollte uns für heute genügen, Sonne macht ungeübte Häupter müde.

Erstens durfte ich ein neues Tier kennenlernen: Den Klippschliefer. Ich würde ihn als eine Mischung aus Murmeltier, Bieber und Eichhörnchen bezeichnen, er ist klein, flauschig und niedlich und bewohnt die Oase inmitten der Wüste Negev (hatte ich das überhaupt schon erwähnt? Die Wüste heißt Negev). Zweitens war ich mal wieder sehr bewegt von der Landschaft. Vielleicht rollt ihr vor den heimischen Computerbildschirmen jetzt schon mit den Augen, „Nicht die schon wieder mit ihren komischen Gefühlen in der Natur.“ Ja ja, ich weiß. Solltet ihr so denken, tut es mir recht herzlich Leid. Stellt euch einfach vor, ihr seid mit dem Hund im Frühling alleine im Wald unterwegs und plötzlich überkommt euch ein Gefühl von Glück und Dankbarkeit ohne ersichtlichen Grund. So in etwa fühlt es sich an, wenn die Natur so schön ist, dass man kurz innehalten, drei mal ein- und wieder ausatmen und danke sagen muss.

Durch eine Felsschlucht ging es bergauf, immer entlang eines klaren, plätschernden Baches, gesäumt von sattem Grün. Über unseren Köpfen zogen Raubvögel verschwörerisch ihre Kreise, die Sonne begann, langsam hinterm Horizont zu verschwinden und ließ die sandigen Steine in einem noch satteren Orangerot leuchten. Am Ende der Schlucht fiel ein schmaler Wasserfall aus einem Dickicht aus Moosen und Farnen in einen glasklaren, kleinen See, von dem aus sich der Bach seinen Weg den Berg hinunter bahnte. Da saßen wir und guckten. Menschen sind seit Jahrtausenden fasziniert von fließendem Wasser und Feuer, dieser genetischen Prädisposition kann auch ich mich nicht entziehen. Ich hätte dort auch einfach sitzen und warten können, bis die Sonne sich gänzlich verabschiedete, doch irgendwann kam ein Ranger und bat uns, jetzt doch bitte den Rückweg anzutreten. Also taten wir, wie uns geheißen war, und verließen den Park pünktlich und sehr zufrieden. Vor mir lagen noch eineinhalb Stunden Autofahrt.

Für den Abend waren wir bei Freunden von Tal in Jerusalem angemeldet. Wer mag, kann jetzt mal Google Maps öffnen, gucken, wo En Gedi und Jerusalem liegen, und feststellen, dass es keinen Sinn macht, auf dem Weg von einem zum anderen Ort das Westjordanland zu umfahren. Also taten wir es nicht. Stattdessen kamen wir nach einigen Kilometern an einen Checkpoint, ähnlich einer Mautstation, gesäumt von schwer bewaffneten, israelischen Soldaten. Es passierte nichts, wir wurden durchgewunken, und schwupps befanden wir uns im besetzten Palästina. Sah auf dieser Seite der Grenze auch nicht groß anders aus, diese Wüste.

Besonders spannend fand ich es, auf den Straßenschildern immer wieder die Namen von Orten zu entdecken, die mir bisher nur aus dem Konfirmandenunterricht bekannt waren, und die sich mir seit meiner Kindheit nur als Orte aus Geschichten in einem heiligen Buch eingeprägt hatten: Jericho, Bethlehem, solche Dinge. Hin und wieder ließ sich außerdem am Straßenrand ein Kamel beobachten, welches die Beduinen dort abgestellt hatten. Alles höchst interessant.

Als wir uns langsam Jerusalem näherten, bekam ich Instruktionen. Denn Tals Freunde Abraham und Ruth waren konservative Juden, das hieß, ich hatte an einem Feiertag einiges zu beachten. Es gelten dieselben Regeln wie am  Schabbat (immer Samstags): Licht darf weder an- noch ausgeschaltet werden. Das Licht im Bad würde bei unserer Ankunft angeschaltet sein, und ich sollte den Schalter doch bitte nicht berühren. Es konnte kein Essen gekocht werden, aber es stünde etwas auf einer Warmhalteplatte, die die ganze Zeit angeschaltet bleiben würde. Ich möge bitte meine Schultern und Knie bedeckt halten, Ruth würde ihr Haar bedecken, wenn sie das Haus verließe. Außerdem würde sie Tal nicht die Hand geben, denn Männer, mit denen sie nicht verheiratet ist, dürfe sie nicht berühren. Mein Handy sollte ich bitte ausgeschaltet lassen, solange die beiden anwesend sein würden. Außerdem mussten wir das Abendessen planen, denn man konnte nicht alles einfach aufschneiden oder verschlossene Verpackungen einfach öffnen. Ich fühlte mich leicht gestresst, weil ich ja gerne alles richtig machen wollte, ließ das Ganze aber einfach mal auf mich zukommen. Ist ja auch ein Erlebnis.

Bei einem farbenfrohen Sonnenuntergang kam ich schließlich das erste Mal nach Jerusalem. Am kommenden Tag würde ich die goldene Stadt erkunden, für heute abend waren nur noch Abendessen und ein guter Nachtschlaf geplant.

Abraham und Ruth waren unheimlich warmherzige Leute, die die Regeln des Schabbat bei ihrem Besuch nicht ganz so eng sahen. Das war gut, denn keines meiner mitgebrachten Kleidungsstücke schien meine Knie effizient zu bedecken, außerdem wollte ich schon ganz gerne nochmal duschen nach der Wüstenwanderung. War in Ordnung. Um neun verabschieten sich die Beiden, denn sie waren noch zu einem Rosh Hashanah-Abendessen eingeladen. Tal und ich aßen den restlichen Hummus, Pita und Weintrauben zum Abendbrot, und zwar auf dem Balkon, bei angenehmen 24 Grad, mit Blick auf das nächtliche Jerusalem.

An jenem Abend schlief ich schnell und gut. Und was am nächsten Tag passierte, lest ihr dann im nächsten Blogpost, der hier ist doch wirklich schon lang genug. Aber es ist einfach viel passiert. Ihr wisst ja: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben.

4 Antworten auf „Durch Wüste und Westjordanland bis nach Jerusalem“

Und du sagst der Muddi und dem Vaddi dann auch den Weg zu diesen grandiosen Stätten, wenn wir im Februar anlanden, ja? Da will ich unbedingt mal hin.

Diese Bilder sehen ja einfach mega aus!! Ich würde das sehr gerne auch sehen. Wir hatten ja mal Anfang Januar als Besuchszeitraum angepeilt! Bis dahin wünsche ich dir eine ganz tolle Zeit! :**

Liebste Feli!
Es ist in der Tat ganz wundervoll hier,und da sich meine Sippe nun den Februar ausgeguckt hat, würde ich mich unheimlich freuen, dich im Januar zu sehen 🙂
Kuss aus תל אביב

Liebe Klara, es war – wie auch das Lesen deiner vorangegangenen Plogs- wieder ein absolutes Erlebnis! Super Fotos, dazu dein Geschriebenes – vielen lieben Dank dafür und weiter eine Megazeit!!!

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